GENER ATION SCHIENE G E ST E R N . H E U T E . M O R G E N .

1825 Die erste Eisenbahnstrecke der Welt unter Bauleitung des britischen Ingenieurs George Stephenson wird zwischen den englischen Städten Stockton und Darlington eröffnet. ab 1830er-Jahre Die Schraubenkupplung wird zunächst bei der Eisenbahn London-Birmingham eingeführt. Bis dahin kamen in Europa primär Kettenkupplungen zum Einsatz. 1835 Mit der sechs Kilometer langen Strecke von Nürnberg nach Fürth wird die erste deutsche Eisenbahnverbindung eröffnet. Ab 1868 Selbstladeeinrichtungen ersetzen Handarbeit und Kräne beim Umschlag von Massengütern. 1860 Preußische Privatbahnen nehmen die ersten Ganzstahlwagen in Betrieb; die ersten Güterwagen waren noch fast komplett aus Holz gefertigt. 1837 Die erste Eisenbahn des Habsburg reiches fährt zwischen Florisdorf (heute Wien) und Deutsch-Wagram. 1951 Die VTG Vereinigte Tanklager und Transportmittel GmbH wird mit Sitz in Hamburg gegründet (Umfirmierung zur AG 2004). 1955 Es wird mit der Entwicklung einer Mittelpuffer kupplung (MPK) für europäische Verhältnisse begonnen. 1960er-Jahre Die als europäische Standard- kupplung vorgesehene Unicupler AK69e wird entwickelt, aber nie flächendeckend eingeführt. WAS KOMMT? Ökologie Die Verlagerung zusätzlicher Gütermengen von der Straße auf die Schiene ist essenziell für das Gelingen der Verkehrswende. Daher ist der Schienen- güterverkehr ein zentraler Faktor bei der Eindämmung des Klimawandels. Dafür sind massive staatliche Investitionen notwendig. Technik Die zukünftige technische Entwicklung des Schienengüterverkehrs wird von den Trends Digitalisierung und Modularisierung dominiert. Im Vordergrund stehen dabei unter anderem die Erhöhung der Planbarkeit von Transporten sowie die Stärkung des Kombinierten Verkehrs. Wirtschaft Eine der zentralen Herausforderungen für den Schienengüterverkehr in den kommenden Jahren wird die Plattformisierung werden. Um die Bahn als attrak- tive Alternative zum Lkw zu positionieren, muss die Branche eng kooperieren.

Liebe Leserin, lieber Leser, Ohne Wandel keine Zukunft. Auf diesen einfachen Nenner gebracht funktioniert das Leben auf der Erde. Da alles mit allem zusammenhängt, wie schon Alexander von Humboldt erkannte, zieht die Änderung eines Faktors immer Reaktionen nach sich. In unserer sehr bewegten Zeit, in der die komplexen geo politischen Entwicklungen alle Lebensbereiche nachhaltig prägen, ist diese Maxime aktueller denn je. Klimaschutz und Versorgungssicherheit als globale und existenzielle Themen lassen sich nur durch innovative Ideen und internatio- nale Partnerschaften realisieren. Wie die Generationen vor und nach uns stehen wir vor der Herausforderung, uns zu wandeln, Neues zu erdenken und in der Folge zu überdenken. Auch das Klima hat sich über die Jahrmillionen der Erd- geschichte oft gewandelt. Vergangene Warm- und Kaltzeiten hatten natürliche Ursachen wie beispielsweise eine geänderte Erdbahn um die Sonne oder Rotationsachse der Erde. Doch der seit Beginn der Industrialisierung sehr steile Temperaturanstieg, da ist sich die Wissenschaft einig, ist auf die menschengemachte Verstärkung des Treibhaus effekts zurückzuführen. Der Verkehrssektor als drittgrößter Verursacher von Treibhausgas- emissionen spielt eine Schlüsselrolle im Klimaschutz, um den CO2-Ausstoß bereits in den kommenden Jahren schnell und drastisch zu senken. In diesem Jahr blicken wir auf 150 Jahre private Waggonvermietung in Europa zurück, die In diesem Jahr blicken wir auf 150 Jahre private Waggonvermietung in Europa zurück, die 1872 in Wien ihren Anfang nahm und die VTG als nunmehr europäischer Markt führer mit Hamburger Wurzeln intensiv mitgestaltet hat. Das zeitlose Geschäftsmodell der Waggon- vermietung hat maßgeblich zur Etablierung des Güterverkehrs auf der Schiene beige- tragen und hat bis heute durch sein branchen- und länderübergreifendes Denken und Handeln einen erheblichen Anteil am friedlichen Zusammenwachsen des europäischen Wirtschaftsraums. Dabei hat sich die Schiene seit dem Beginn des Eisenbahnzeitalters zu einem umweltfreundlichen Verkehrsträger gewandelt und ermöglicht heute den sicheren und nachhaltigen Transport großer Mengen lebensnotwendiger Güter und Rohstoffe über weite Strecken, dem nicht nur in Pandemiezeiten höchste Bedeutung zukommt. Und wir blicken nach vorn: Denn ein nachhaltiger, innovativer, effizienter Schienen- güterverkehr ist unverzichtbar, um die gemeinsamen Klimaschutzziele zu erreichen. Mit unserer Expertise aus vergangenen Generationen Schiene möchten wir als heutige Generation Schiene gemeinsam mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mutig aufbrechen, um die Zukunft nachfolgender Generationen lebenswert zu gestalten. Interessante Einblicke und viel Spaß beim Lesen wünschen Ihnen Oksana Janssen, Mark Stevenson, Sven Wellbrock

WANDEL GESTALTEN ZUKUNFT LENKEN Gewaltig wie der Sturm Die Anfänge der Eisenbahn beflügelten die Wirtschaft und die Fantasie gleichermaßen. Von Mental Shift zu Modal Shift Verkehrsverlagerung fängt im Kopf an: Für die Ver- kehrswende müssen mehr Güter auf die Schiene. Die Schiene wird smart Digitalisierung und künstliche Intelligenz sorgen für einen beispiellosen Innovationsschub. 92 Kuppeln: Eine Herzensangelegenheit Die DAK-Einführung könnte Europas Innovations - sprung an die Weltspitze bedeuten. 100 70 74 Vom Dampfross zum stahlharten Klimaschützer Seit die ersten Eisenbahnen durch Europa keuchten, fand eine Revolution in kleinen Schritten statt. 78 Heute schon ‚fit for 55‘ Der Kombinierte Verkehr ist Hoffnungsträger in der Verkehrs- und Klimawende. Langfristiges Erfolgsmodell: Klimaschutz Auf Spur: VTG strebt an, bis 2040 ein klimaneutrales Unternehmen zu werden. Der Klimawandel als Wegbereiter Die Schiene muss das Momentum aus der Klimadebatte für sich nutzen. Schiene goes Plattform Digitale Plattformen werden die Transport- und Logistikbranche radikal verändern. Die Zukunft hat bereits begonnen Unterirdisch und autonom: So könnten künftig Schienentransporte abgewickelt werden. 80 82 104 106 110 Worauf es jetzt ankommt Impulse: Beim Güterverkehr besteht massives Klima- schutzpotenzial, das nur gehoben werden muss. 87 Was nun? Expertinnen und Experten blicken voraus und benennen, was es nun dringend anzupacken gilt. 116 Standards Editorial Impressum H E U T E . 3 1 115 M O R G E N .

WEICHEN STELLEN „Auch der weiteste Konfuzius chinesischer Philosoph vermutl. *551 v. Chr., † 479 v. Chr. Weg beginnt mit einem ersten Schritt.“

D as Großherzogtum Oldenburg ist eine agrarisch geprägte, arme Region. 15 Jahre lang hat die Großherzoglich Oldenburgische Eisenbahn darum nicht in neue Güterwagen investieren können. Anfang der 1890er- Jahre ist ihr Transportbedarf jedoch hoch, Lösung kommt unter anderem aus Brüs- sel. Dort residiert die Compagnie auxiliaire internationale des Chemins de fer belge (CAIB), einer der ersten international aus- gerichteten privaten Waggonverleiher. Ihr größter Abnehmer ist die Prinz-Heinrich- Bahn im Großherzogtum Luxemburg, rege vermietet sie aber auch nach Österreich- Ungarn oder an andere Länderbahnen in Deutschland. Die Großherzoglich Oldenburgische Eisenbahn mietet 25 gedeckte Güter wagen Eine besondere Erfolgsgeschichte Das 150-jährige Jubiläum der privaten Waggonvermietung in Europa stellt gleichzeitig das 150-jährige Bestandsjubiläum unserer österreichi- schen Tochtergesellschaft VTG Austria Ges. m. b. H. dar, deren Wurzeln auf eine im Jahr 1872 in Österreich erfolgte Unternehmensgründung zurückgehen. Am 24. Februar 1872 wird in Wien die Erste Eisenbahn- wagen-Leihgesellschaft Akciengesellschaft gegründet samt angeschlos- sener Waggonreparaturwerkstätte in Deutsch-Wagram – am ältesten Bahnhof Österreichs. Etwa 20 Jahre später geht aus dieser Gründung die Oesterreichische Eisenbahn-Verkehrs-Anstalt AG, kurz OEVA, hervor. 1986 wird OEVA Teil der Brambles-Gruppe, deren europäische Waggon- vermietaktivitäten die VTG AG 2002 übernimmt. der CAIB an und bestellt weitere 100 beim Berliner Waggonverleiher Ludewig & Lan- ge. Diese werden ebenfalls in Belgien gebaut. Bau und Verleih von Standard- Güterwagen ist die Gründungsidee privater Waggonverleiher im 19. Jahrhundert. Das Geschäft ergänzt das Transportvolumen der europäischen Staatsbahnen, es differen- ziert es noch nicht. Eine Änderung der Tarif- vorschriften 1903 schafft eine erste Zäsur. Fortan dürfen Privatgüterwagen nur noch solche Güter befördern, die nicht zum Mas- sengutgeschäft der Staatsbahnen gehören. Bislang zählen einzig Kesselwagen für Mi- neralöle, Petroleum und chemische Pro- dukte dazu. Die privaten Waggonverleiher suchen nun weitere neue Geschäfts felder und finden sie in ganz Europa. SPEZIALWAGEN FÜR EUROPA Westlich des Ruhrgebietes, des indus- triellen Herzens des Kaiserreiches, liegen die Niederlande mit ihrer bedeutenden Fleischindustrie. In Rotterdam befindet sich das größte Kühlhaus Europas. Die Nieder- lande haben das Fleisch, aber nicht die Kühl wagen, um es zu transportieren. Ers- te Versuche dazu hat die österreichische Staatsbahn im Landes inneren gemacht. Als erster privater Waggonverleiher über- nimmt die Oesterreichische Eisenbahn-Ver- kehrs-Anstalt (OEVA) die Idee und bietet europaweit Kühlwagen für den Fleisch- transport an. Deren Berliner Tochter, die Deutsche Waggon-Leihanstalt, realisiert die H E U T E . 7 M O R G E N .

Leipziger Kühltransit AG, die sich mit der EVA in der Kühltransit Verkehrs AG zusam- menschließt. In der EVA-Waggonfabrik Wis- mar wird die neue Kühlwagengeneration gebaut, die nun zwischen den Kühlhäusern der AG in Leipzig, Berlin, Hamburg und den Fleischmärkten pendelt sowie Frischfleisch aus den neu entstandenen Balkanstaaten importiert. In der Spitze bewegt die EVA Kühltransit Verkehrs AG europaweit bis zu 1.000 Kühlwaggons. Mitte der 1930er-Jahre hat sich der OEVA-Konzern mit seiner deutschen Toch- ter EVA zum „weitaus größten europäischen Waggonleihunternehmen“ entwickelt, heißt es in zeitgenössischen Presseberichten. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges hat sich die Branche vom klassischen Standard- wagenverleiher zum modernen Spezial- wageneinsteller gewandelt, was für ihr Europageschäft immer wichtiger wird. „GENERALCHARTA“ FÜR EUROPA Kurz vor Gründung der Europäischen Wirt- schaftsgemeinschaft (EWG) wird 1950 in Brüssel die Internationale Privatgüterwa- gen-Union (UIP) als Dachverband der euro- päischen Güterwagenhalterverbände ge- gründet. Damit tritt neben VAP und VPI eine dritte Stimme privater Waggon verleiher in Europa. Als „Generalcharta“ wollen UIP und UIC gemeinsam die seit 1938 geltende Internationale Ordnung für die Beförderung von Privatgüterwagen (RIP) überarbeiten. Anfang 1958, zum Start der EWG, tritt in Folge das gemeinsam erarbeitete europäi- sche Merkbuch „Bestimmungen für Privat- güterwagen“ in Kraft. Das Miteinander von Tarif, Transport, Logistik und nun auch bei der Normung ist jetzt so intensiv wie nie. Zusätzlich zum all- zeit dominierenden Kesselwagengeschäft entwickeln Waggonverleiher in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine stetige Fül- le von Spezialwagen, zum Beispiel großräu- mige Schiebewandwagen, Spezialwagen für Dämm- und Schaumstoffe, eine neue Gene- ration von Wagen für den England verkehr, Autotransportwagen, Textilientransportwa- gen oder Flachwagen für die Stahlindus- trie. „Ihr Innovationspotenzial wirkt auf die Staatsbahnen wie ein Motor“, sagt Gilles Peterhans, Generalsekretär der UIP. Diese begegnen ihrem seit den 1960er-Jahren rückläufigen Massengutgeschäft umgekehrt mit der Aufstockung ihres Wagenparks mit Spezialwaggons wie zum Beispiel der ers- ten Generation von Containerwaggons. Ende der 1980er-Jahre sind laut UIP von den rund 800.000 Güterwagen im eu- ropäischen Schienengüterverkehr bereits 159.000 Privatgüterwagen. Mit Beginn der Liberalisierung in den 1990er-Jahren stei- gen die privaten Waggonverleiher auch in den Massengutverkehr mit Kohle, Erz, Kies, Holz etc. ein, der zuvor traditionell von den Staatsbahnen durchgeführt wurde. Um gegenüber dem Lkw zu bestehen, müssen ihre Spezialwagen und ihre Logistik per- manent weiterentwickelt und hinsichtlich der Kundenwünsche optimiert werden. Die Tradition der privaten Waggonverleiher als Spezialanbieter sorgt für den großen Erfolg der immer noch verhältnismäßig kleinen Branche. Stetig kann sie ihren Güterpark auf zuletzt 220.000 private Güterwagen in Europa steigern, wie aus dem UIP-Jahres- bericht von 2019 hervorgeht. Jede zweite Tonne im europäischen Schienengüter- verkehr wird auf oder in Spezialwagen der privaten Waggonverleiher transportiert. Die Expertise dazu hat sich die Branche in den 150 Jahren ihrer Entwicklung im Geschäfts- feld Europa erworben. H E U T E . 9 M O R G E N .

W enn im Harz die Brockenbahn pfeifend den Gipfel erklimmt, ist sie auf einer Schmalspur unterwegs. Kein Problem, ihr Revier ist be- grenzt. Sie muss nicht auf der in Deutsch- land, vielen europäischen Ländern und etwa in China üblichen Normalspur fahren, um wiederum die Sonder- spurbreite von 1.668 mm auf der iberischen Halbinsel zu erreichen, oder gar auf der Breitspur in Russland dampfen. Im grenzüberschreitenden Schienenverkehr sieht das an- ders aus. Die Folge sind stundenlange Umladungen oder Umachsungen der Wagen an Landesgrenzen, um einen Spurweitenwechsel zu bewältigen. Allerdings hätte die Brockenbahn in keinem Eisenbahntunnel ein Problem – Züge mit Containern als Ladung schon: In Europa gibt es ei- nige Strecken, auf denen das Lichtraumprofil eines Tunnels nicht die häufig erforderlichen vier Meter Eckhöhe bietet. Doch damit nicht genug. Jakob Öhrström, Geschäfts- führer und Leiter des Center of Competence Intermodal von VTG Rail Europe in der Schweiz, nennt weitere Hemmnisse für einen reibungslosen grenzüberschreitenden Schienen- verkehr: „Innerhalb Europas existieren unterschiedliche Stromsysteme, sodass Mehrstromloks eingesetzt werden müssen, die wechselfähig sind. Hinzu kommen unterschied- liche Sicherheitssysteme, die künftig durch das einheitli- che europäische Verkehrsleitsystem ERTMS ersetzt werden sollen, und das Fehlen einer gemeinsamen Eisenbahner- sprache.“ Darüber hinaus existierten unterschiedliche ma- ximal mögliche Zuglängen und Radsatzlasten. Als Ursache gibt Öhrström an, dass der Schienengüterverkehr (SGV) jahrzehnte lang sehr national ausgerichtet gewesen sei, ob- wohl Bahnen gerade für die Güterbeförderung auf langen und damit auch oft grenzüberschreitenden Strecken prädes- tiniert seien. TEURE INKOMPATIBILITÄT Natürlich wurde die Notwendigkeit der Standardisierung im Fahrzeug- und Infrastrukturbereich von europäischen Bah- nen schon früh erkannt. Europaweit einheitliche Regelungen sparten Zeit und Geld und erlaubten einen effizienteren Ein- satz von Personal und Material sowie die Nutzung bisher nicht ausschöpfbarer Kapazitäten im grenzüberschreitenden SGV. Trotzdem gibt es diese Inkompatibilitäten noch immer. Im täglichen Geschäft muss für jeden über Landesgrenzen rollenden Zug die passende Lok nebst Lokführerin oder Lok- führer für die jeweilige Route gefunden werden, mit aller erforderlichen Technik an Bord und den entsprechenden Ge- nehmigungen. „Ein Engpass, denn Mehrstrom- und Mehr- systemloks sind teuer und daher in der passenden Zusam- mensetzung jeweils nur begrenzt verfügbar“, sagt Öhrström. BEHÄLTERVIELFALT Erschwerend kommt hinzu, dass geeignete Wagen für eine Vielzahl unterschiedlicher Ladeeinheiten vorhanden sein müssen. Öhrström: „Während maritim vor allem 20- und 40-Fuß-Container mit einheitlicher Breite unterwegs sind, finden sich im Landverkehr alle möglichen Behälter- größen. Der kurze Wechselbehälter etwa ist in Deutschland 7,45 Meter lang, in Skandinavien aber 7,82 Meter. Zudem kommen immer mehr 45-Fuß-Container zum Einsatz mit doppelter Euro palettenbreite und 35 Zentimeter mehr Höhe (high cube). Sie haben die gleichen Innenmaße wie ein 13,6 Meter langer Trailer. Vorteil: Sie passen im Doppelpack auf 90-Fuß-Containertragwagen und sie sind auf Terminals stapelbar. Nachteil: Sie haben keine Räder.“ Bei den Einheiten mit Rädern, den Trailern, sieht es schon allein in Deutschland nicht besser aus: Nur 15 Pro- zent sind kranbar, lassen sich also einfach auf einen Wag- gon setzen und per Bahn befördern. Alle anderen erfordern Verladehilfsmittel, die nicht an jedem Terminal verfügbar sind. VTG setzt hier aktuell auf die mit dem Partner Vega International entwickelte Transport- und Umschlagtechnik r2L (roadrailLink), mit der 90 Prozent der nicht kranbaren Sattelauflieger in Europa mithilfe eines Korbs auf Taschen- wagen verladen werden können. Als Vertreter der Güter- bahnen fordert Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE), von Wirtschaft und Politik die Standardisierung von Ladegefäßen, die durchgängige Kranbarkeit von Trailern und mehr Horizontal- verladung, um den intermodalen Verkehr zu stärken. LÖSUNG LIEGT AUF DER HAND VTG unterstützt die Forderungen von Westenberger und betont: Die Politik müsse sich verstärkt für europaweit ein- heitliche und schlankere regulatorische Rahmenbedingun- gen einsetzen. Dies gelte etwa für Fahrzeugzulassungen, Verkehrsführung, eine gemeinsame Sprache, elektronische Frachtpapiere, Maße und Gewichte von Wechselbehältern sowie für multimodale Transportketten. Nur mit einheit- lichen Regeln könnten Bahnen im Wettbewerb mit Lkw bestehen und sei die Verkehrs- und damit auch die Klima- wende zu schaffen. Das sieht auch Westenberger so: „Die EU muss nun mit Nachdruck inter- wie intramodal geeignete Maßnahmen zur Verlagerung von der Straße auf die Schiene ergreifen. Intermodal müssen die Rahmenbedingungen der Schiene verbessert werden: Infrastruktur, Energiebesteuerung und Kontrollen. Die Schienenkapazitäten müssen ausgebaut werden. Strecken, Elektrifizierung, Grenzübergänge und der ETCS-Roll-out sollten durch einen Infrastrukturfonds überjäh- rig gesichert sein. Internationale Standards für die Digitalisie- rung und Automatisierung des Schienengüter verkehrs müs- sen entwickelt und dann konsequent umgesetzt werden.“ Laut Öhrström bieten einheitliche Regeln, die über eine längere Zeit konstant gehalten werden, die nötige Pla- nungssicherheit für Investitionen. Das ist wichtig, auch ange- sichts der Lebensdauer von Wagen von rund 40 Jahren. 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Drogdentunnel Der Drogdentunnel ist neben der Öresundbrücke und der künstlichen Insel Peberholm ein Teil der Öresund- verbindung zwischen Dänemark und Schweden. Die Gesamtlänge des kombinierten Straßen- und Eisenbahntunnels beträgt 4.050 m. Der Tunnel besteht aus zwei Eisenbahnröhren, zwei Straßenröhren und einer Service- und Evakuierungsröhre. H E U T E . 13 M O R G E N .

Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit nun eine echte europäische Lösung gelingt? Sie gelingt bereits! Die paar Probleme an den Grenz- übergängen lassen sich durch geeignete Betriebsregeln lösen. Bisher benötigt jedes Fahrzeug für jedes Land und jede Strecke eine eigene Zulassung. Nun soll es ein System und eine Zulassung für alle Strecken und Länder geben. Die Datenkommunikation wird mit Einführung der DAK vereinfacht. Der geplante Mobil- funkstandard 5G entlang der Strecken ermöglicht die Verarbeitung der zu erwartenden hohen Datenmen- gen aufgrund diverser neuer Analysetools. Welche Vorteile bietet ETCS? In erster Linie ermöglicht ETCS einen offenen euro- päischen Markt, stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene bei grenzüberschreitenden Verkehren gegen- über der Straße durch Interoperabilität und erlaubt kürzere Streckenlaufzeiten. Eine höhere Kapazität der Infrastruktur ist zu erwarten. Aber sie wird nicht – wie oft zu lesen ist – nach Einführung von Level 3 bei 30 Prozent liegen. Zehn Prozent sind realistischer, größere Kapazitätssteigerungen sind eher vom Infrastrukturausbau abhängig. Sicher sind die Verkehre schon heute, da der überwiegende Teil der Strecken mit Leit- und Sicherungstechnik, also mit Stellwerken, Blockanlagen und künftig auch mit digitalen Stell- werken, betrieben wird. ETCS wird die vorhandenen nationalen Zugbeeinflussungssysteme ablösen. Mit ERTMS als Organisations- und Dispositionssystem ergeben sich Möglichkeiten, die Verlässlichkeit und Pünktlichkeit im Schienenverkehr noch zu erhöhen, etwa auf Basis der Daten von Diagnosesystemen. Und was passiert, wenn es doch nicht zeitnah zu einer gemeinsamen bzw. allseits kompatiblen Version kommt? Das wird nicht passieren. ERTMS hat mit seinen Komponenten ETCS und GSM-R einen Stand erreicht, bei dem ich mir nicht vorstellen kann, warum die Umsetzung wieder ins Stocken geraten sollte. Es hat eine Weile gedauert, doch ab jetzt geht es im Wesent- lichen um Fleißarbeit. Grundsätzlich: An ETCS führt kein Weg vorbei! Das hätte ich vor ein paar Jahren noch nicht so ausgedrückt. Es ist alles auf einem guten Weg hin zu einem reibungslosen und noch sichereren Schienenverkehr in Europa. ERTMS, ETCS und GSM-R Das europäische Verkehrs- leitsystem ERTMS (European Rail Traffic Management System) löst mehr als 20 natio- nale Zug leit- und -sicherungs- systeme ab und ist essen- ziell für einen einheitlichen europäischen Bahnmarkt. Zum ERTMS gehören das europäi- sche Zugsicherungssystem ETCS (European Train Control System) und das digitale Zugfunk- und Kommunikations- system Fahrzeug–Fahrweg GSM-R (Global System for Mobile Communications – Rail- way). Im Rahmen des trans- europäischen Verkehrsnetzes TEN-V soll ERTMS vor allem auf den europäischen Schienen- verkehrs korridoren durchgän- gig zum Einsatz kommen. Die Ausrüstung der TEN-Korridore ist bis 2030 geplant. ETCS ist in unterschiedliche Level unterteilt, um den Ansprüchen verschiedener Strecken, Nutzungsprofile und Eisenbahnverwaltungen gerecht zu werden. Die Level beschreiben, wie Informatio- nen gesendet werden, wie die Strecken ausgerüstet sind und welche Funktionen Fahrzeuge und Strecken erfüllen. Sie sind abwärtskompatibel. Neben der Eignung des Zugs für die Strecke und der Ein- haltung besonderer Betriebs- vorschriften überwacht ETCS unter anderem die zulässige Höchstgeschwindigkeit. Das System ist zudem in der Lage, einen Zug in Gefahren- situationen vollautomatisch zu bremsen. Die Standardisierung ermöglicht einen einheitlich hohen Sicherheitsstandard und eine starke Vereinfachung der signaltechnischen Ausrüs- tung der Züge. Damit sinken auch die Kosten für grenz- überschreitend einsetzbare Fahrzeuge sowie Zulassungs- zeiten und der Zeitaufwand für den Grenzübertritt. H E U T E . 15 M O R G E N .

Schlüssel für die Energiewende: H² Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft. Politik, Wissenschaft und Industrie sehen in ihm den Schlüssel für die Energiewende. Für eine funktionierende Wasserstoffwirtschaft ist neben der Erzeugung auch sein sicherer, schneller Transport essenziell. Der Schienengüterverkehr kann dabei eine zentrale Rolle spielen. D amit der Einstieg Deutschlands in die Wasser- stoffwirtschaft gelingt, hat die Bundesregierung im Juni 2020 eine Nationale Wasserstoffstrate- gie verabschiedet. Technologien zu entwickeln, die sowohl die Erzeugung und den Transport als auch die Nutzung von grünem Wasserstoff einschließen, sind zen- trale Bestandteile dieser Strategie. Die Forschungsarbeiten dazu haben 2021 begonnen und werden vom Bundes- ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie der EU im Rahmen verschiedener Leitprojekte gefördert. An dem gewünschten Markthochlauf von Wasser- stofftechnologien wird länderübergreifend gearbeitet, da es sich hierbei um ein wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (Important Projects of Common European Interest, IPCEI) handelt. Eine nachvollziehbare Ent- scheidung angesichts der Tatsache, dass heute schon mehr als die Hälfte des Energiebedarfs in Europa importiert wird. Der Bedarf an grünem Wasserstoff wird nicht nur die hierzulande produzierbare Menge um ein Vielfaches über- steigen – auch viele andere europäische Länder werden perspektivisch kaum in der Lage sein, sich komplett selbst mit dem Rohstoff der Zukunft zu versorgen. Ohne eine weit- reichende, vielseitig kombinierbare Infrastruktur kann daher keine Wasserstoffstrategie funktionieren. Neben der natio- nalen Infrastruktur müssen auch internationale Transport- wege sichergestellt werden. Es geht dabei sowohl um die Frage, mit welchen Verkehrsträgern sich Wasserstoff am ge- eignetsten transportieren lässt, als auch, in welcher Form. MIX DER FORMEN „Wasserstoff kann in unterschiedlichen Formen transpor- tiert werden“, sagt Finn Torge Bremer, Business Develop- ment Manager New Energies bei VTG. „So beispielsweise als Flüssigwasserstoff, Druckwasserstoff, Ammoniak oder auch in Form von LOHCs, einer Technologie, die den Wasserstoff in einem flüssigen Trägermaterial bindet. Wir gehen in Be- zug auf den Speicher- und Transportbedarf von einem zu- künftigen Mix der Formen aus, der um weitere interessante technologische Innovationen und industrielle Entwicklungen ergänzt werden wird.“ Beim Druckwasserstoff etwa sieht VTG die Belie- ferung von Abnehmern unterschiedlicher Größe vor: von kleinen, wie zum Beispiel Tankstellen, über mittlere, die kommunale Bedarfe abdecken, bis zu Großabnehmern wie Industrieanlagen oder Chemieparks. „Logistisch und technologisch sind wir bereit und unsere Konzepte produk- tionsreif“, sagt Bremer. ROLLENDE PIPELINE Für die Verwirklichung braucht es jedoch noch konkrete Zu- sagen adäquater Partner. Unternehmen, die ihr Geschäfts- modell ebenfalls auf Wasserstoff ausrichten und dafür ein verlässliches Distributionssystem benötigen. „Wir reden hier auf beiden Seiten von langfristigen Vereinbarungen für den Transport erheblicher Wasserstoffmengen“, sagt Heinz- Jürgen Hiller, Manager International bei VTG. Will man auf einen Markthochlauf des Wasserstoffs in ein paar Jahren optimal vorbereitet sein, müssen die Transportmittel, sprich Waggons, jetzt schon in Auftrag gegeben werden. „So eine Investition unsererseits in das rollende Material will gut kalkuliert sein“, so Hiller. „Das Risiko muss darum für den Erzeuger beziehungsweise den Verbraucher ebenso über- schaubar sein wie für uns als Beförderer.“ Wie so etwas in der Umsetzung aussieht, zeigt sich am Beispiel des Energieträgers LNG (Flüssigerdgas, Lique- fied Natural Gas): VTG ist hier das erste und bisher einzige H E U T E . 17 M O R G E N .

„Wir brauchen eine vorausschauende Politik“ Sabine Nallinger ist Vorständin der Stiftung KlimaWirtschaft, vormals Stiftung 2 Grad, in der sich Unternehmen branchenübergreifend zusammengeschlossen haben, die im Klimaschutz vorangehen wollen. Die Stiftung versteht sich somit als unternehmerische Stimme für effektiven, marktwirtschaftlich organisierten Klimaschutz. Frau Nallinger, die Transport- und Logistikbranche ist europaweit der einzige Sektor, bei dem die Emissionen wachsen und das vorhandene Potenzial nicht genutzt wird. Was muss im Bahnsegment getan werden? Die Branche ist nach meiner Überzeugung ein zentraler Ansatzpunkt für mehr Klimaschutz im Verkehr. Hier gilt es zunächst einmal, den Schienenverkehr mit einem entschlossenen Ausbau der Schieneninfrastruktur zu stärken. Dazu gehört auch: Engpässe im Schienennetz zu beseitigen, das Netz für längere Züge fit zu machen, die Digitalisierung auf der Schiene mit moderner Leit- und Sicherheitstechnik und Stellwerken voranzutreiben und das Schienennetz weiter zu elektrifizieren. Nur dann wird es gelingen, Verkehrsströme nachhaltig auf die Schiene zu verlagern. notwendigen Infrastruktur verzahnen? Gerade hier ist es wichtig, international zu denken und strategische Kooperationen mit Partnerländern einzugehen. Der Auf- bau einer Wasserstoffwirtschaft kann nur gelingen, wenn die heimische Produktion mit einem stabilen Netzwerk aus H2-Importeuren flankiert wird. Ist die Wirtschaft in Sachen Klimaneutralität aktiver als die Politik? In meinen Gesprächen mit Unternehmensführern und CEOs erkenne ich ganz klar, dass große Teile der Wirt- schaft längst auf dem Weg zur Klimaneutralität sind. Zu- gegeben: Sie sind auf unterschiedlichen Teilen der Weg- strecke, aber sie sind auf dem Weg. Die Politik ist meines Erachtens oftmals zu zögerlich und erkennt teilweise noch nicht, was Unternehmen jetzt wirklich brauchen. Was wäre das? Wir brauchen eine vorausschauende Politik, die jetzt mit Mut und Kraft die Zukunftstechnologien marktfähig macht und den Unternehmen hilft, Klimaneutralität zum Geschäftsmodell zu machen. Dann wird Klimaschutz Innovationsmotor, dann wird er auch international zum Markenzeichen unseres Wirtschaftsstandortes. Beim Umstieg auf ausschließlich saubere, erneu- erbare Energien spielt Wasserstoff eine immer wichtigere Rolle. Wie ist die Haltung der Stiftung KlimaWirtschaft dazu? Wasserstoff ist ein Schlüsselelement für die Transforma- tion zur Klimaneutralität. Der Anteil von grünem Wasser- stoff aus erneuerbaren Energien sollte dabei möglichst schnell möglichst hoch sein. Wir wollen, dass 70 Prozent des deutschen Stromverbrauchs bis 2030 durch erneuer- bare Energien gedeckt und ausreichend Flächen für den Ausbau von Windenergie und Fotovoltaik vorgehalten werden. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Unterneh- men ihre Strategien auf grünen Wasserstoff ausrichten können. Wird dieser Schritt in Richtung Klimaneutralität unternehmensseitig begrüßt? Ein klares Ja. Wir erleben, dass Wasserstoff in den CO2-Minderungsstrategien von Unternehmen nahezu aller Branchen eine wichtige Rolle spielt. Hier kommt es nun darauf an, eine gut balancierte Gesamtstrategie des Wasserstoffhochlaufs zu schaffen und zu klären: Wann entstehen in den verschiedenen Branchen welche Wasserstoffbedarfe? Wie lässt sich dies mit einem hei- mischen, europäischen und internationalen Ausbau der H E U T E . 19 M O R G E N .

Sicherheit ist das höchste Gebot: Individuelle Kundenlösungen gehören bei VTG Rail Logistics sowohl beim Transport herkömmlicher als auch gefährlicher Güter zum Alltagsgeschäft. Das gilt gleicher- maßen für die Transportplanung wie für die operative Durchführung. Denn so unter- schiedlich die Aufträge sind, so differenziert ist auch das Angebot. Ob national, europa- weit oder global: Gefahrgüter jeglicher Couleur werden von VTG jederzeit mit höchsten Sicherheits standards transportiert. A ufgrund ihrer Spurgebunden- heit, den hohen Sicherheitsvor- schriften sowie deren stetiger Kontrolle gilt die Eisenbahn als der sicherste Verkehrsträger. Modernste Signaltechnik, eine rechnergestützte Ver- kehrsführung sowie die zuverlässige Über- wachung des Schienennetzes durch Mensch und Computer sind nicht nur für den Perso- nen- und regulären Güterverkehr von Vor- teil, sondern insbesondere für den Transport gefährlicher Güter. Damit das so bleibt, ist Tag für Tag ein höchst aufmerksames, regelkonformes Arbei- ten erforderlich. Seit nunmehr zwei Jahrzehn- ten besitzt VTG Rail Logistics eine Abteilung für Gefahrgutmanagement, um genau das zu gewährleisten. Jederzeit bereit: die Ge- fahrgutbeauftragten und Sicherheitsberater Stefan Kruse und Mischa Beyer. KOMPETENTE LÖSUNGEN „Standardlösungen gibt es bei uns nicht, denn jeder Gefahrguttransport ist anders“, sagt Mischa Beyer. Seien es die unter- schiedlichen Arten von Gefahrgütern, deren Kennzeichnungs- pflicht International ein- heitliche Gefahrgut- kennzeichen geben Auskunft über die Gefährlichkeits- merkmale und über die Stoffe, die trans- portiert werden. H E U T E . Spezifikationen, die gewählten Transport- einheiten oder die zurückzulegende Strecke. Berücksichtigt werden muss überdies: Wie ist der Kunde selbst aufgestellt? Hat er eige- ne Wagen, gar einen Gleisanschluss oder lässt sich ein Stück des Weges per Binnen- schiff zurücklegen? In vielen Fällen ist für die erste und letzte Meile zudem der Trans- port mit dem Lkw vonnöten. „Für alle diese Transportketten haben wir vielfältige kundenspezifische Lösungen“, sagt Beyer. „Das ist unsere Stärke, denn wir können von der Bereitstellung der unter- schiedlichen Wagen über die Organisation des Transports bis zur eigenen Traktion ge- fahrgutrechtlich alles anbieten.“ Sei es der intermodale Transport in Tankcontainern, etwa von Säuren und Laugen, oder speziell ausgestattete Waggons für die hochsen- siblen Produkte der chemischen Industrie. Dabei gilt stets die Maßgabe, dem Kunden neben der operativ besten und günstigsten vor allem die sicherste Lösung anzubieten. Digitale Tools wie VTG Connect ermöglichen das Tracking einzelner Wagen und somit die nahtlose Überwachung des Gefahrguts. IM DIENST DER SICHERHEIT Die Sicherheit ist im Gefahrguttransport das Wichtigste. „Das RID und GGVSEB regeln sehr genau, was gefahrgutrechtlich geht und was nicht“, sagt Kruse mit Verweis auf die Ordnung für die internationale Eisenbahn- beförderung gefährlicher Güter (RID) und die Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt (GGVSEB). „Wenn wir bei einem Transport, den wir nicht selbst geplant haben, Mängel feststellen, müssen diese vom jeweiligen Dienstleister erst be- hoben werden, sonst übernehmen wir ihn nicht.“ Und gefährlich wird es im Gefahrgut- transport immer dann, wenn Regeln nicht beachtet werden. „Sei es aus Unwissenheit oder anderen Gründen – und wenn sich Rou- tine einschleicht“, sagt Kruse. Im Rahmen ihres Gefahrgutmana- gements bietet VTG deshalb Schulungen bei Kunden und Transportdienstleistern an, führt aber auch externe Kontrollen bei Lade- und Entladestellen mit den dort tä- tigen Mitarbeitenden durch, um sowohl Wissen zu vermitteln als auch die Sinne zu schärfen. Ein Service, der den beiden Sicher- 21 M O R G E N .

„Gefahrgutrecht muss einfach sein“ Helmut Rein war bis Ende 2018 Leiter des Referats „Beförderung gefährlicher Güter“ im Bundes ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Herr Rein, wenn man die Beförderungssicherheit betrachtet, wo liegen die Vorteile des Schienen- transports gefährlicher Güter gegenüber anderen Verkehrsträgern? Betrachtet man das Beförderungsrisiko, so ist die Ein- trittswahrscheinlichkeit von Zwischenfällen und Unfällen im Verhältnis zur Straße, aber auch zum Binnenschiff auf der Schiene systembedingt geringer. Sehr große Gütermengen lassen sich in einem Beförderungsvorgang transportieren, aber auch kleine oder Kleinstmengen unterschiedlicher gefährlicher Güter können in einem Zugverband, insbesondere in Containern, sicher und günstig befördert werden. Gegenüber dem Binnenschiff profitiert das Eisenbahnnetz zudem von der höheren Anzahl an direkt erreichbaren Destinationen. Mit welchen Maßnahmen kann seine Bedeutung gesteigert werden? Insbesondere durch den Ausbau des Netzes, denn der Schienengüterverkehr benötigt gegebenenfalls eigene Strecken, um vom Personenverkehr ent koppelt zu wer- den. Es braucht aber auch Investitionen in die Technik und das rollende Material. Dazu gehören Dinge wie die DAK, die vollelektronische Zugzusammenstellung an Knotenpunkten, aber auch die technische Ausrüstung der Wagen, etwa mit Entgleisungsdetektion und Telematik. Die Überprüfung der auf den europäischen Güter verkehr bezogenen Schienenpolitik halte ich für unbedingt notwendig. Mit den heutigen Prämissen ist sie zu wenig innovationsfördernd und darunter leidet die zukünftige Produktivität des Bahnbetriebs. Welche Errungenschaften im Gefahrgutrecht waren die beiden wichtigsten während Ihrer 25-jährigen Tätigkeit als Referatsleiter? Das war sicherlich die Reform des Gefahrgut-Regelwerks, um eine verkehrsträgerübergreifende, übersichtliche Struktur zu schaffen, die anwenderfreundlicher ist. Eben- falls bedeutsam war die Akzeptanz, neben den stoff- lichen Anforderungen an Umschließung und Beförderung auch insbesondere bei Unfällen erkannte Schwachstellen bei der materiellen Rechtsentwicklung zu berücksich- tigen. In die Zukunft gerichtet möchte ich sagen: Das Gefahrgutrecht muss möglichst einfach sein und bleiben und darf nicht durch zu viele Sonderregelungen über- frachtet werden. H E U T E . 23 M O R G E N .

„Ohne flächen deckenden Netzausbau geht es nicht“ Jörg Roth (Dipl-Ing.) ist im Verband der Chemischen Industrie (VCI) unter anderem für das Thema Transportsicherheit verantwortlich. Herr Roth, hat der VCI ein bevorzugtes Beförde- rungsmittel für den Transport gefährlicher Güter? Nein, weil das gar nicht umsetzbar ist. Wann immer es geht, nutzen wir die Schiene, keine Frage. Insbesondere bei Bulkware ist die Schiene ein gern genutzter, bevor- zugter Transportweg. Doch nicht jedes unserer Mitglieder hat einen Gleisanschluss, sodass häufig die erste und letzte Meile auf der Straße zurück gelegt wird. Muss also der Kombinierte Verkehr stärker ausge- baut werden? Ja und Nein. Der Kombinierte Verkehr ist eine gute Mög- lichkeit, gefährliche Güter gerade über längere Strecken zu transportieren. Aufgrund des starken Wettbewerbs ist er in den letzten Jahren gewachsen. Das Problem dabei ist aber in Bezug auf Gefahrgut: Jeder Umladevorgang ist mit Risiken verbunden. Zudem gilt: Ist die Ware erst ein- mal auf der Straße, stellt sich die Frage, warum sie nicht darüber weitertransportiert wird. Was schlagen Sie statt dessen vor? Über den Kombinierten Verkehr hinaus sind wir für die Einrichtung sogenannter Schienen-Hubs, also den Zugang aller Eisenbahnverkehrsunternehmen zu den zentra- len Rangier- und Knotenbahnhöfen. So könnten unsere kleinen und mittelständischen Mitglieder verstärkt den Einzelwagenverkehr nutzen und der Schienentransport damit zukunftsfähig gemacht werden. Es liegt also an der fehlenden Infrastruktur? Nicht nur. Der Schienenverkehr in Europa ist nach wie vor stark national geprägt. Das fällt vor allem auf, wenn man wie ich in internationalen Gremien, wie beispiels- weise dem RID-Fachausschuss, tätig ist. Es gibt hier Vorschriften, die mitunter seit Jahrzehnten nicht ange- passt wurden. Das verlangsamt eine Europäisierung und Vereinheitlichung technischer Parameter enorm. Und da sprechen wir noch gar nicht von Maßnahmen zur Digi- talisierung. Generell fehlt ein klares internationales und grenzüberschreitendes Konzept. Apropos Digitalisierung: Wie steht es damit? Grundsätzlich haben wir hier ein ähnliches Infrastruktur- problem wie beim Ausbau des Schienennetzes. Man kann natürlich immer ein Mehr an Bahnverkehr und ein Mehr an digitalen Tools fordern. Solange Sie jedoch weder ein flächendeckendes Schienen- noch ein Breit- bandnetz haben, fehlt es an der Infrastruktur und damit an der alles entscheidenden Grundlage. H E U T E . 25 M O R G E N .

Jakutsk Jakutsk Krasnojarsk Krasnojarsk Nowosibirsk Nowosibirsk Nur-Sultan Nur-Sultan Dostyk · Alashankou Dostyk · Alashankou Ulaanbaatar Ulaanbaatar Harbin Harbin Hunchun - Hunchun - Kamyshovyi Kamyshovyi Zabaikalsk · Manzhouli Zabaikalsk · Manzhouli Altinkol - Khorgos Altinkol - Khorgos Ürümqi Ürümqi Taschkent Taschkent China Zamiin-Uud · Zamiin-Uud · Erenhot Erenhot Changchun Changchun Wladivostok Wladivostok Beijing Beijing Taiyuan Taiyuan Dalian Dalian Zhengzhou Zhengzhou Lanzhou Lanzhou Lianyungang Lianyungang Kobe Kobe Kitakyushu Kitakyushu Chengdu Chengdu Chongqing Chongqing Wuhan Wuhan Changsha Changsha Shanghai Shanghai Yiwu Yiwu Xiamen Xiamen Shenzhen Shenzhen Hanoi Hanoi Guangzhou Guangzhou VTG-Standorte VTG-Standorte und Korridorknotenpunkte Korridorknotenpunkte Chemiezug Spurwechsel Malaszewicze 1435 mm / Brest 1520 mm Altinkol 1520 mm / Khorgos 1435 mm Dostyk 1520 mm / Alashankou 1435 mm Zamiin-Uud 1520 mm / Erenhot 1435 mm Zabaikalsk 1520 mm / Manzhouli 1435 mm EU-Länder: max. 44 x 40' FT Container Russland: max. 80 x 40' FT Container China: max. 50 x 40' FT Container H E U T E . 27 M O R G E N .

Für VTG bietet die Entwicklung der Seidenstraße zusätzliche Perspektiven. Da- bei kann das Unternehmen auf Erfahrung bauen, die es lange vor dem Start der Sei- denstraßen-Initiative aufgebaut hat, sagt Hendrik Wehlen, Business Development Manager des Vorstandsressorts Eurasia & Far East: „Vor allem bei zeitkritischen Aufträgen oder höherwertigen Produkten lohnte sich der Containertransport per Schiene von und nach China schon früher.“ Nun lassen die neu entstehenden Routen die Nachfrage nach multimodalen Transporten in Box- und Tankcontainern weiter steigen. Denn darin lassen sich nicht nur Handelswaren von Ost nach West und vice versa transportieren. Auch die Infrastruktur entlang der Trans- portkorridore hat eine große Bedeutung für VTG, denn strategische Beteiligungen an neuralgischen Knotenpunkten bieten einen Mehrwert. Hier können durch die Diversi- fikation von VTG langfristig neue Produkte generiert werden und alle Bereiche mitein- ander verbunden werden. Eine große Rolle spielt dabei die Ni- schenmarktentwicklung für flüssige Güter innerhalb des transeurasischen Korridors sowie die Kombination des VTG-Kern- geschäftes Vermietung mit den logistischen Konzepten bis hin zur Implementierung ei- gener Chemiezüge. VERKNÜPFTE KOMPETENZEN „Um diese Chancen zu nutzen, sind eine klare Strategie, eine effektive Struktur und ein tiefgreifendes Marktverständnis erforder- H E U T E . 29 M O R G E N .

Luft nach oben Der Transport von Flüssig- produkten ist einer der entscheidenden Wachstums- märkte für VTG Eurasia & Far East. Nach Marktanalysen werden die Transporte auf der Neuen Seidenstraße bis 2030 jährlich um geschätzte 9,5 Prozent zunehmen. lich“, sagt Oksana Janssen. Sie verantwortet das Vorstandsressort Eurasia & Far East, das eigens 2019 gegründet wurde, um nicht nur die Erfahrung in den Ländern und Regionen Eurasiens miteinander zu verknüpfen, son- dern mit Waggonvermietung, Tankcontainer- geschäft und der Projekt logistik auch die Kompetenzen verschiedener VTG-Geschäfts- felder zusammenzuführen. „Sie alle bringen das weltweite Netzwerk, das umfangreiche Logistik-Know-how, die kulturelle Vielfalt innerhalb des Konzerns sowie die Markt- kenntnisse mit, die sich sehr gut ergänzen und es uns ermöglichen, von dem Wachs- tum in Eurasien zu profitieren“, sagt Jans- sen. „Ideen, Vorschläge und Erfahrungen zusammenzutragen und auszutauschen, ist unerlässlich“, ergänzt Wehlen. „Durch die Erstellung gemeinsamer, aufeinander abge- stimmter Angebote steigt deren Attraktivität für die Kunden und verbessert unsere Wett- bewerbschancen.“ Die Fähigkeit, verschiedene Trans- portwege auf Schiene, Straße, See oder in der Luft aufeinander abzustimmen, ist da- bei eine entscheidende Kompetenz, sagt Janssen: „Manchmal müssen Sie ein kriti- sches Ersatzteil eben einfliegen oder der Zielort ist nur per Flussschiff erreichbar.“ So wie beim Transport der Gaswerkbauteile von China nach Swobodny. Aber auch der Transport von flüssigen Produkten wird auf dem eurasischen Markt immer wichtiger. Nach jüngsten Marktanalysen wird dieser Markt auf der Neuen Seidenstraße bis 2030 jährlich um 9,5 Prozent wachsen. Darum wurde die Supply Chain für regelmäßige Wasserstoffperoxid-Transpor- te im Herbst 2021 vom Eurasia-&-Far-East- Team von VTG bewusst umgestellt, weil es auf den ursprünglich gewählten Transport- routen immer wieder zu Engpässen bei den Containertragwagen gekommen war. Heu- te transportiert VTG Tanktainer die 20-Fuß- Tankcontainer aus Schweden mit dem Schiff in den litauischen Hafen Klaip da, von wo aus VTG Rail Russia eigene 60-Fuß-Flachwa- gen für den Weitertransport an verschiede- ne Endempfänger in Russland einsetzt. Alle Aktivitäten vom Eingangshafen Klaip da bis zu den Anschlussgleisen der russischen Empfänger werden vom Team von VTG Pro- ject Logistics Baltics koordiniert – ebenso wie der Leertransport zurück. Nachdem die ersten Testtransporte erfolgreich abgewi- ckelt werden konnten, wurde im Dezember 2021 mit dem schwedischen Auftraggeber ein langfristiger Vertrag unterzeichnet. INNOVATION ERGÄNZT ERFAHRUNG Erfahrung allein wird jedoch in Zukunft nicht ausreichen. Das Entstehen der neu- en Transportrouten wird begleitet von der Entwicklung neuer Technologien. „Die Kun- den verlangen eine kontinuierliche digitale Überwachung von gefährlichen und tem- peraturgeführten Gütern“, so Janssen. VTG Tanktainer setzt darum insbesondere auf modernste GPS-Technologie: Im Herbst 2021 wurde der eintausendste Tankcontainer der Flotte mit GPS-Sensorik ausgerüstet. Doch Eurasia & Far East treibt auch technologische Innovationen voran. Dazu gehören beispielsweise die Taschenwagen. Sie ermöglichen es, Lkw-Trailer reibungs- los auf andere Transportmittel zu verladen. Dafür werden die nicht kranbaren Auflieger auf eine schienenähnliche Plattform gesetzt. An griffähnlichen Halterungen können Kräne diese greifen, um sie samt Trailer auf Wag- gons oder Schiffe umzuheben. Das heute noch weitverbreitete zeitaufwendige Aus- und Umladen der Güter entfällt. Ergänzt werden die neuen Techno- logien durch neue Standorte und Koopera- tionen. „Für die optimale Abwicklung der Transportaufträge ist eine sinnvolle Ver- netzung von Standorten eine wichtige Vo- raussetzung“, so Janssen. Bereits 2019 hat- te VTG neue Niederlassungen in Russland, Litauen und China eröffnet. „Dieses Netz werden wir durch ausgewählte Partner vor Ort ständig ergänzen“, so Janssen. „Damit bauen wir auch kulturelle Brücken, die da- bei helfen, lokales und internationales Ge- schäft aufzugleisen.“ H E U T E . 31 M O R G E N .

Unsere VTG-Tankcontainer und Waggons bringen ein gewaltiges Gewicht auf die Schiene. ZWISCHEN VIER UND 36 TONNEN wiegt die Konstruktion, mit der Güter verschiedenster Art sicher transportiert werden. So viel wie ein afrikanischer Elefantenbulle bzw. eine ganze Herde der Dickhäuter. 7.000 TONNEN STAHL PRO JAHR verbaut Waggonbau Graaff in der VTG-eigenen Fabrik für Güterwaggons. Zum Vergleich: Für den Pariser Eiffelturm wurden rund 10.000 Tonnen Stahl benötigt. 193 EIFFELTÜRME könnten mit der MASSE DER GESAMTEN VTG-FLOTTE gebaut werden. Monatlich überqueren die VTG- Güterwagen in Europa im Durchschnitt 1.200.000-mal Landesgrenzen. 1836 startete der erste Schienengüterverkehr in Deutschland mit dem Transport von zwei Bierfässern. Da zu dieser Zeit die Bahn- strecken ausschließlich für den Personen- verkehr bestimmt waren, brauchte es eine Ausnahme regelung für den Transport und der Bierbrauer musste zu- sätzlich zwei Fahrkarten dritter Klasse lösen.2 4.200 KILOMETER ist die größte Distanz zwischen zwei einzelnen VTG- Güterwagen in Europa. In Australien fuhr am 21. Juni 2001 der längste und schwerste Güterzug aller Zeiten. Der aus 682 Waggons bestehende Zug wurde von acht dieselelektrischen Lokomotiven angetrieben, die ein einziger Lokführer über Funk steuerte. Insgesamt legte der mit Eisenerz beladene 99.734 TONNEN SCHWERE und 7,353 KILOMETER LANGE Zug eine Strecke von 426 km in zehn Stunden zurück.1 H E U T E . 33 M O R G E N .

RICHTUNG WEISEN „Es ist sehr wichtig, dass junge Leute ihren Sinn für Wunder behalten und dabei bleiben, immer nach dem Warum zu fragen.“ Stephen Hawking britischer Physiker und Astrophysiker *1942, † 2018

1970 Großraum-Kesselwagen Westwaggon, Kesselwagen Nr. 941 183, Kassel, vierachsig, Deutsche Reichsbahn, Aufschrift: Wirt- schaftliche Forschungsgesellschaft m.b.H. Berlin: Beim Großraum-Kesselwagen der WIFO für leichte Mineralölprodukte mit Tarnanstrich war die Einheit von Tank und Untergestell neu. Dadurch und durch die konsequente Anwendung der Schweiß- statt Nietentechnik wurde die Eigenmasse deut- lich reduziert. Bei einem Eigengewicht von knapp 19 Tonnen wurde eine Nutzlast von 44 Tonnen realisiert. Die Bauart gab es in zwei- und vierachs- iger Variante. Der Tank war für die Übertragung der Zug- und Stoßkräfte ausgelegt, ein durch gehendes Untergestell brauchte es nicht. Der Wagen verfügte über Druckluft- und Handbremse. Das Handrad für das Bodenventil war jetzt nicht mehr im Kessel- dom, sondern direkt auf den Tank montiert. Vierachsiger Kesselwagen Beim vierachsigen VTG-Kesselwagen mit 88 Kubikmeter Tankinhalt war das vom Tank getrennte Untergestell für den Einbau einer Automatischen Kupplung (AK) konstruiert. Die Trennung von Tank und Untergestell hatte den Vorteil, dass bei der Berechnung des Tanks die zugdynamischen Kräfte nicht mehr berück- sichtigt werden mussten. Da nun auch keine Seitenpuffer mehr erforderlich waren, konnten die äußeren Langträger entfallen. Ein kräftiger Mittellangträger mit angebauten Kopfstücken für die Tanksattelung übernahm für eine Über- gangszeit auch die Seitenpuffer. Diese neue Generation Vierachser konnte im Bereich der Deutschen Bundesbahn bei 100 Kilometer pro Stunde gefahren werden. 2000 Eco-Jumbo Bei der aktuellen Ausführung eines Mineralöl-Kesselwagens von VTG mit 98 Kubikmeter Tankinhalt ist der Tank gegenüber der Ausführung von 1970 in zahlreichen Punkten verändert. Um eine restlose Entleerung zu gewährleisten, ist er zur Mitte um ein Grad geneigt. Auf den Entladestellen können alle Arbeitsschritte vom Boden aus erfolgen. Das Bodenventil ist flurbetätigt und mit einem Belüftungsventil gekoppelt, sodass der Dom nicht mehr geöffnet werden muss. Durch das Belüftungsventil werden ein Vakuum im Tank und die dadurch drohende Zerstörung desselben vermieden. Da aus diesen Gründen keine Leiter mehr erforderlich ist, wurde diese aus Sicherheitsgründen entfernt. Die klassische Handbremse wurde ebenfalls durch eine bodenbedienbare ersetzt. Der Wagen wiegt 22,6 Tonnen und kann bei 22,5 Tonnen Radsatzlast eine Nutzlast von 67,5 Tonnen befördern. 37 M O R G E N .

E s überrascht immer wieder, wie vielen Menschen in Deutschland und Europa VTG ein Begriff ist, auch wenn sie gar nichts mit dem Schienengüterverkehr zu tun haben. Der Wiederkennungseffekt geschieht eher unbewusst und ist neben dem Buchstabenkürzel vor allem dem markant skizzierten historischen Bohrkopf-Logo zu verdanken, das noch aus der Zeit stammt, als VTG Teil der Preussag AG war. Mal prangt das Logo unübersehbar auf Kessel wagen für Gase oder Mineralöl, mal auf Staubgutwagen für Kunst- stoffgranulate oder Schüttgutwagen für Bau- und Agrar- stoffe. Bei Taschen- sowie den Intermodalwagen muss der geneigte Betrachter mitunter genauer hinschauen, um den Schriftzug auf dem Fahrgestell zu entdecken. Mal sind die Waggons aus weiß, grau oder blau lackiertem Normalstahl gefertigt, mal spiegelt sich der Wolkenhimmel in der glän- zenden Isolierabdeckung aus Edelstahl eines Chemie-Kes- selwagens. Ihrem Alter entsprechend ist das Erscheinungs- bild der Waggons oft sehr unterschiedlich: Während einige aussehen, als seien sie gerade erst aus der Produktionshal- le gerollt, wirken andere Modelle so, als hätten sie in ihrem Leben schon sehr viel von Europa gesehen. Die jährliche Laufleistung ist vom Waggontyp und seinem Einsatzgebiet abhängig. Bei Kesselwagen liegt sie im Schnitt bei rund 50.000 Kilometern, bei klassischen Güter wagen durchschnittlich bei 80.000 Kilometern und im Intermodalbereich können schon mal bis zu 200.000 Kilo- meter und mehr pro Jahr zusammenkommen. Damit die- se hohe Nutzungsintensität jedes Wagens gewährleistet werden kann, ist die regelmäßige Überprüfung unter allen vorgeschriebenen Sicherheits- und Qualitätsaspekten eine wichtige Voraussetzung. Mit einem europaweiten Netz- werk an Partnerwerkstätten bietet VTG flächendeckende Reparatur- und Instandsetzungsmöglichkeiten, sowohl für die hochsensiblen Gefahrgutwaggons als auch für die herkömmliche Wagenflotte. Vier unternehmenseigene Waggon werkstätten in Deutschland, Frankreich und der Slowakei sowie zentral gelegene Ersatzteillager garantie- ren einen schnellstmöglichen Service. ZEIT IST GELD Mit dem mobilen Reparatur- und Instandhaltungsservice MoRe hat VTG eine effiziente Möglichkeit geschaffen, Re- geluntersuchungen sowie kleinere Reparaturen durchzu- führen, ohne dass der Kunde den Waggon dafür extra in die Werkstatt bringen muss. Vielmehr kommt das mobile Techniker-Team von VTG zum aktuellen Standort des zu überprüfenden Waggons. Das verkürzt die Ausfallzeiten für die Kunden erheblich, erhöht die Verfügbarkeit und sorgt für kosteneffiziente Wartung. Einen weiteren Vorteil für die Instandhaltung bietet die Telematik. Mit VTG Connect wurde die Güterwagen- flotte des Unternehmens digitalisiert, sodass sich anhand dieser Daten beispielsweise die tatsächliche jährliche Lauf- leistung eines Waggons abfragen lässt. Das Tracking und Tracing der VTG-Wagen ermöglicht zudem eine bessere Ein- schätzung der realen Belastungs- und Nutzungsintensität. Ein Intermodalwagen etwa, der permanent über die Alpen und zurück fährt, unterliegt einer ganz anderen Abnutzung als einer, der nur im flachen Land unterwegs ist. Statt wie früher eine rein zeitliche Wartungsfrequenz festzulegen, können Inspektionen nun viel praxis naher geplant werden. RENTE UND RECYCLING Ein Güterwagen ist eine treue Seele. Bei guter Pflege, also präventiven Maßnahmen wie der regelmäßigen Kessel- prüfung und Kontrolle der Radsätze sowie der Modernisie- rung und Reparatur von Aufbauten, Unter- und Drehgestel- len, ist einem Güterwaggon ein langes Leben beschieden. Abhängig vom Wagentyp kann ein Waggon bis zu 40 Jahre alt werden. Wird er dennoch nach Jahrzehnten im Dienst ausgemustert, landet er ganz unromantisch in der Schrott- presse. Zu wertvollem Altmetall verarbeitet, wird er von der Stahlindustrie eingeschmolzen und so wieder dem Rohstoffkreislauf zugeführt. So manches ältere Modell, das maximal nur 80 Ton- nen schwer sein darf, ist bis zu seiner Rente mitunter noch eine Weile auf dem ost- und südosteuropäischen Schienen- netz unterwegs. Da dieses über weite Strecken weniger ertüchtigt ist als in Westeuropa, können die moderneren 90-Tonnen-Wagen dort nicht fahren. Während das Eigen- gewicht beider Modelle rund 25 Tonnen beträgt, bedeutet das für die Nutzlast immerhin einen Unterschied von zehn Tonnen. 10.000 Kilo mehr oder weniger zu transportieren ist für westeuropäische Kunden ein entscheidender Fak- tor, weshalb diese Wagen dort nicht mehr zu vermieten sind. Manch einer der rollenden Stahlkolosse, die Anfang der Achtzigerjahre gebaut wurden, fahren zum Ende ihres Waggonlebens daher noch heute sicher und zuverlässig von einem Bestimmungsort zum nächsten durch Osteuropa. H E U T E . 39 M O R G E N .

Neue Geschäftsideen Meike Nennhaus, Head of Cluster Nordic, und Thomas Freyer, Head of Sales & Operations, entwickeln innova- tive Lösungen, die die Bedürfnisse der VTG-Kunden optimal erfüllen. H E U T E . 41 M O R G E N .

schnell und kostengünstig von der Straße auf die Schiene umgesetzt werden können. Dieses sogenannte roadrailLink-System (r2L) bringt der Schiene einen großen Vorteil: Es lässt sich schnell und günstig für die von Kunden gewünschten Door-to-door-Transporte einsetzen. VOLLUMFÄNGLICHE KOMPATIBILITÄT RoadrailLink sei ein gutes Beispiel dafür, „wie wir aus unterschiedlichen Transportbereichen Brücken in Richtung Schiene bauen“, so Well- brock. „Es ist unsere Hauptaufgabe, dafür zu sorgen, dass die Dienstleistung der Schiene für die verladende Wirtschaft so einfach wie mög- lich nutzbar wird.“ Das gelinge nur, wenn sie zu 100 Prozent kompatibel mit anderen Verkehrs- trägern sei. Der Brückenbau beschränkt sich längst nicht allein auf Hardware-Lösungen für die Um- ladung von einem Verkehrsträger auf den ande- ren. Mit der Kundenplattform traigo hat VTG zu- sätzlich einen unkomplizierten digitalen Zugang zu Schienendienstleistungen geschaffen. „Wir bringen unsere geballte Schienenkompetenz ein, damit allen Verladern und anderen Verkehrsträ- gern die Zusammenarbeit mit der Schiene er- leichtert wird“, erläutert Wellbrock den koope- rativen Ansatz. Ziel sei es, Kunden frik tionslose Transportketten über alle Verkehrsträger hinweg anbieten zu können und die Schiene, wo immer sinnvoll und möglich, mit einzubinden. Dabei helfe traigo, den Wünschen der Kunden noch besser gerecht zu werden. MAKE RAIL EASY: SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG Der einfache digitale Zugang zum Schienen- güterverkehr via Plattform wird in Zukunft im- mer wichtiger. „Denn häufig wechselndes Per- sonal aufseiten der Kunden bringt tendenziell immer weniger Erfahrung mit, wenn es darum geht, die Schiene in die Transportplanung ein- zubinden“, sagt Thomas Freyer, Head of Sales & Operations bei VTG Rail Europe. „Die bisherige Generation mit Know-how geht allmählich nach Hause.“ Nachrücker seien mit der Komplexität des SGV zunächst oft überfordert oder hätten keine Zeit mehr, sich mit den Details und Be- sonderheiten der Schiene zu beschäftigen. „Da- rum ist es essenziell, dass wir unsere Dienstleis- tungen plattformfähig machen und den Kunden Leistungen vom Einzelwagenverkehr bis hin zum Mieten ganzer Züge per Mausklick anbieten.“ Plattformen sorgten für eine hochflexible, einfa- che Transportplanung und schnellere Verfügbar- keit von Wagen. „Make rail easy“ sei der Schlüs- sel für eine erfolgreiche Zukunft der Schiene. Auch Flege sieht in digitalen Einstiegs- portalen „eine große Chance für den SGV, weil sie die Zugangshürden zur Schiene reduzieren.“ Zudem eröffne die Digitalisierung viele weitere Möglichkeiten, Kunden zusätzliche Services rund um die Transportdienstleistung anzubieten. „Die Flexibilität Attraktiver Preis Transportbedarf lässt sich häufig nicht Wochen oder Monate im Voraus planen. Darum ist schnelle Verfügbarkeit von Transportkapazitäten ein wichtiger Faktor bei der Kundenentscheidung für oder gegen einen Verkehrsträger. Wie in anderen Branchen sind auch im Transport- und Logistiksektor die Kosten eines der wichtigsten Kriterien für die Verlader. Bei der Auswahl des Verkehrsträgers spielen „die Transportpreise die alles entscheidende Rolle“, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene. H E U T E . 43 M O R G E N .

so Wellbrock. „Welche digitalen Services wir künftig konkret anbieten werden, hängt von den Wünschen unserer Kunden ab.“ Es gehe nicht darum, alles umzusetzen, was technisch mach- bar sei. „Wir orientieren uns an den Bedürfnis- sen unserer Geschäftspartner“, sagt Wellbrock. „Die zentrale Frage ist: Welche Services bringen ihnen einen echten Mehrwert?“ Kern eines mo- dernen Geschäftsmodells sei es darum, in stän- digem Austausch mit den Kunden zu bleiben und das Leistungsportfolio um die gewünschten digi- talen Services zu ergänzen. Neben dem bedarfsgerechten Um- und Ausbau der Wagenflotte und der Erweite- rung um digitale Services muss der Schienen- güterverkehr auch die Zukunftsmärkte ins Visier nehmen, um wachsen zu können. Dazu zählen eine Reihe von heutigen Marktnischen, wie bei- spielsweise der wachsende Transportbedarf für alternative Energie träger wie Wasserstoff oder Flüssig erdgas ( Liquefied Natural Gas, LNG). PRAKTIZIERTE VERKEHRSVERLAGERUNG Erheblich größeres Potenzial für die Schiene bie- ten temperaturgeführte Transporte. Dafür muss nicht nur die laufende Temperaturüberwachung über Sensoren, sondern auch die Stromversor- gung zur Kühlung des Ladeguts sichergestellt sein. Dafür setzt VTG eine klimafreundliche, auf Intermodalwagen montierte und über Radsatz- generatoren mit elektrischem Strom versorgte PowerBox ein, die die nötige Energie für die Kühlung an Bord liefert. Auch diese Technik ist bereits im Einsatz. „Seit dem Frühjahr 2022 fahren wir regelmäßig temperatursensibles Obst und Gemüse auf der Schiene von Barce- lona nach Lübeck. Es ist einer der längsten In- termodalverkehre Europas“, so Wellbrock. Von Norddeutschland aus gehe die Kühlfracht per Fähre weiter nach Schweden. „Das ist prakti- zierte Verkehrsverlagerung. Denn hier geht es um Verkehre, die bislang ausschließlich auf der Straße gefahren worden sind und wegen der Kühlung mit Dieselgeneratoren hohe CO2-Emis- sionen verursacht haben.“ Mit der PowerBox könne die Schiene Kunden nun passgenaue Angebote für tempe- raturkontrollierte Transporte machen, die zudem auch dem Kundenwunsch nach Nachhaltig- keit entsprächen. „Denn durch die Verlagerung vom Lkw auf die Schiene reduzieren sich die CO2-Emissionen um den Faktor sieben“, rechnet Schienenverkehrsfachmann Flege vor. Gut fürs Klima – und gut für den Schienengüterverkehr. Denn das Thema Nachhaltigkeit spielt für die Verlader eine immer größere Rolle, wenn es um die Entscheidung für oder gegen einen Verkehrsträger geht. „Darum ist der ‚grüne Fuß- abdruck’ eine riesengroße Chance für die Schie- ne. Schließlich ist der Schienengüterverkehr die ökologisch nachhaltigste Transportmodalität überhaupt“, sagt Kotratschek. Zuverlässigkeit Nachhaltigkeit Für Kunden müssen Transporte vor allem eines sein: prognostizierbar. Dafür brauchen sie verlässliche Daten zur Ankunftszeit und schnelle Informationen zu möglichen Verzögerungen. Diese Forderung erfüllt die Schiene durch digitale Fahrzeugüberwachungssysteme. Sollte es doch einmal zu Verspätungen kommen, bleibt Zeit zu reagieren, um alternative Lösungen zur Versorgung der Produktion zu finden. Der grüne Fußabdruck eines Transports wird für die Verlader zu einem immer bedeutenderen Kriterium bei der Auswahl des Verkehrsträgers. Hier hat die Schiene im Vergleich zur Straße Vor- teile. Laut Hannes Kotratschek, Geschäftsführer VTG Rail Europe, geht es beim Thema Nachhaltigkeit nicht nur um die Höhe der transportbedingten CO2-Emissionen. „Immer mehr rücken auch der Flächenverbrauch, die Unfall- und Staukosten im Straßenverkehr sowie die Beschäftigungsbedingungen, zum Beispiel von Lkw- Fahrern, bei Nachhaltigkeitsbetrachtungen in den Fokus.“ H E U T E . 45 M O R G E N .

Herr Dr. Juhnke, Herr Dr. Fischer, zu- sammengenommen standen Sie als VTG-Chefs 27 Jahre lang an der Spitze des Marktführers bei der privaten Güterwaggonvermietung. Welches waren dabei für Sie persönlich die wichtigsten Momente? JUHNKE: Die Zeit von 1988 bis 1998, in der ich Verantwortung an der Spitze ge- tragen habe, war meiner Meinung nach einfacher als die heutige Zeit. Es gab damals ein großes Wirtschaftswachstum in Deutschland, man konnte mit Inves- titionen nicht viel falsch machen. Wenn ich mich auf einen einzelnen wichtigen Moment festlegen soll, dann würde ich die fundamentalen Änderungen des Markt- und Wettbewerbsumfeldes nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nennen. Recht plötzlich traten neue Wettbewer- ber, Wagen parks und Lieferanten auf. Allerdings wurden auch die Absatzmärkte größer. FISCHER: Es ehrt Klaus Juhnke, dass er sagt, seine Ära sei einfacher gewesen als meine, die von 2004 bis 2021 reicht. Aber jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Was man allerdings tatsächlich feststel- len muss: Seit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung in den frühen Neunzigern haben sich alle Entwicklungen enorm beschleunigt. Krisen und Boom- Zeiten folgen heute in schnelleren und unvorhersehbareren Abfolgen aufeinan- der, die Rahmenbedingungen ändern sich ständig. Das ist herausfordernd – bietet aber auch viele Chancen. Ein entscheiden- der Moment war für mich der Verkauf von VTG 2005. Denn das hat die Fesseln der vorherigen Konzerneinbindung gesprengt. Nur fast zwei Jahre später, Ende Juni 2007, kam für mich als zweiter wichtiger Punkt der Börsengang. Mit der Verbreiterung der Eigentümerstruktur und dem Zugang zum Kapitalmarkt hatten wir noch größere strategische Freiheiten – und die neue Möglichkeit, mit der eigenen Aktie Über- nahmen zu finanzieren. H E U T E . Herr Dr. Juhnke, in Ihre Zeit als Vor- sitzender fiel mit dem Ende des Kalten Krieges und der deutschen Wieder vereinigung einer der funda- mentalsten Umbrüche der jüngeren Geschichte. Wie hat sich dies auf den Schienengüterverkehr ausgewirkt? JUHNKE: Es hat den gesamten Markt verändert. In Deutschland gab es vor der Wende viele Nord-Süd-Verkehre – nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kamen dann viele Ost-West-Achsen dazu. Wir wurden zum Transitland, wenn auch lei- der erst mal vorrangig auf der Straße. VTG war schon vor dem Fall des Eisernen Vor- hangs im damaligen Ostblock aktiv, etwa in Polen, auf dem Balkan oder in der DDR. Mit dem Fall der Mauer lösten sich zwar viele gewachsene Geschäftsverbindungen in den Ostblock auf. Aber am Mineralöl- markt, auf dem wir damals sehr aktiv wa- ren, waren diese Auswirkungen nicht so stark zu spüren wie in anderen Branchen. Man sieht das etwa am Raffinerie standort Leuna, der aus industriepolitischen Erwä- gungen erhalten worden war. Zugleich kamen Kesselwagen auf den Markt, die vorher der Deutschen Reichs- bahn gehörten. VTG hat zwar einen Teil dieses Wagenparks übernehmen können. Aber durch die entstehenden Überkapazi- täten und durch billigere Neubauten aus Osteuropa haben sich die Mietpreise in Europa innerhalb weniger Jahre quasi halbiert. Dr. Klaus-Jürgen Juhnke leitete die Geschicke von VTG von 1988 bis 1998 und war später Mitglied des Aufsichtsrats der VTG AG. 47 M O R G E N .

Durch umfangreiche Zukäufe, etwa auch in China, Russland, in Europa oder den USA, ist VTG in dieser Zeit immer internationaler geworden. Was hat Sie zur verstärkten und konsequenten Internationalisierung bewogen? FISCHER: Der Markt ist grundsätzlich länderübergreifender, globaler geworden. Das war er natürlich auch schon Mitte der Neunziger, als ich in das Unterneh- men eingetreten bin – damals waren wir aber bezogen auf europäischen Landtransport teils internationaler aus- gerichtet als viele Kunden. Wir haben unseren Wagenpark schon sehr früh als einen europäischen Wagenpark betrieben und nach Bedarf über Grenzen hinweg verschoben. Aber die Internationalität unserer großen Konzern kunden hat in der Folgezeit enorm zugenommen, an- getrieben durch endlose Entflechtungen, Zusammenschlüsse, Joint Ventures oder auch Aufspaltungen von großen Industrie- konglomeraten. Verbunden mit digitali- sierten Kommunikationsmöglichkeiten hat dies unser Kunden universum mehrmals auf den Kopf gestellt. Manchmal konnte man sich die Namen der neu entstande- nen Gebilde gar nicht mehr merken, so schnell haben manche Firmen die Flagge gewechselt. Dieser Prozess findet weiter nahezu ungebremst statt. Wichtig wurde hier, ein digital anschlussfähiger Vorreiter mit globaler Präsenz zu sein. Die Umwälzungen und Turbulenzen auf den deutschen, europäischen und globalen Märkten konnte VTG stets für sich nutzen. Wo sehen Sie beide das Erfolgsrezept dafür? FISCHER: Es waren viel Wagnis und Opportunität dabei – und auch die Fähig- keit, im richtigen Moment zuzupacken. Aber eines der wichtigsten Erfolgsrezepte ist sicher unsere Langfristigkeit – im Den- ken, Handeln, in der Strategie und der Mit- arbeiterentwicklung. Dr. Juhnke war in der Geschichte dieses Unternehmens erst der dritte Chef, ich war der fünfte. Man braucht in dieser Branche Weitblick und einen lan- gen Atem – und man muss gegebenenfalls auch lange warten können, bis die eigenen Pläne ihre volle Wirkung entfalten. JUHNKE: Außerdem lebt VTG von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich im Laufe der Jahre ein umfangreiches Spezialwissen zugelegt haben. Wenn da jemand geht, geht immer auch Wissen verloren. Das heißt, man muss bei der Führung darauf achten, diese Spezialisten mit guten Arbeitsbedingungen zu halten und allzeit auf die neuen Anforderungen zu trainieren. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Branche intensiv konsolidiert. Wie sieht die Zukunft des Schienen- güterverkehrs aus? FISCHER: Der Sektor bekommt jetzt viel Aufmerksamkeit vonseiten der Öffentlich- keit sowie der deutschen und europäi- schen Politik, weil wir Güter klimaverträg- lich transportieren können. Jetzt müssen wir beweisen, dass wir dieser Aufgabe gewachsen sind. Man wird den Schienen- güterverkehr in großen Teilen neu erfinden müssen, die Bahnwelt benötigt eine Frachtrevolution. Aber wenn nicht jetzt, wann dann? Oder besser gesagt: Wenn nicht jetzt, dann gar nicht mehr. Denn wenn der Sektor diese Aufgaben nicht erfolgreich bewältigt, dann gibt es in den 2030ern vielleicht keinen nennenswerten Schienengüterverkehr mehr. Aber ich bin da sehr guter Hoffnung. Es gibt sehr viele gute neue Ansätze. Jetzt braucht es einen gesamteuropäischen Masterplan Schienen- güterverkehr – und mindestens zehn Jahre lang den Willen, diesen auch durchzu- setzen, in der passenden Reihenfolge und Geschwindigkeit. Wenn wir das schaffen, dann sind wir auf dem richtigen Weg. „Eines der wichtigsten Erfolgsrezepte ist sicher unsere Langfristigkeit – im Denken, Handeln, in der Strategie und der Mitarbeiterentwicklung.“ Dr. Heiko Fischer, Ehemaliger Vorsitzender des Vorstands der VTG AG und amtierender UIP-Präsident H E U T E . 49 M O R G E N .

JANSSEN: Wir sehen diese Entwicklung auch in Osteuropa und Eurasien, zwei wichtige Märkte für die VTG-Aktivitäten auf den eurasischen Korridoren. Die ost- europäischen und eurasischen Länder sind bei diesem Thema vielleicht etwas später dran. Aber auch dort sind jetzt immer häufiger Klimaneutralität und grüne Logistik auf der Tagesordnung – mit einem Fokus auf die Schiene und verbunden mit entsprechenden Investi- tionen. Klimaschutz ist für uns also auch ein Wachstumsfaktor. Und inzwischen außerdem ein Argument bei der Akquise von neuen Mitarbeitenden. Wir merken, dass wir gerade junge Talente mit dem Thema überzeugen können. In Europa soll der Güterverkehr bis 2040 um 30 Prozent gegenüber 2020 zulegen. Was kann und muss die Schiene selbst tun, um ihren Anteil daran auszubauen? WELLBROCK: Ein zunehmender Anteil an diesen wachsenden Warenströmen sind leichte, individualisierte Güter, die just-in-time mit Produktionsprozessen verzahnt sind. Viele Kunden denken zur- zeit noch, die mit diesem sogenannten Güterstruktur effekt verbundenen Aufga- ben könnten nur Lkw meistern. Wir müs- sen darum zuallererst an der Attraktivität der Schiene selbst arbeiten – und An- gebote machen, die auch einen Verlader ansprechen, der bisher nur Lkw kennt. JANSSEN: Die Bahn muss insgesamt digi- taler, agiler, schneller und vor allem ein- facher für die Kunden werden. „Make rail easy“: Diesem Ziel haben wir uns bereits seit Jahren verpflichtet. Nur so können wir mehr Güter auf die Schiene verlegen. Welche Weichenstellungen erwarten Sie jetzt von der europäischen Politik? JANSSEN: Für die zukünftige Wettbewerbs- fähigkeit der Schiene kommt es heute vor allem auf Geschwindigkeit in der Umset- zung an: Die Politik kann die Entwicklung vor allem an drei Punkten beschleunigen: durch zügige Investitionen in die Infra- struktur, durch rasche Vereinfachung und Harmonisierung von Regularien und Haben die gegenwärtigen und künftigen Herausforderun- gen der Branche im Blick: die beiden operativen VTG-Vorstände Oksana Janssen, die die Geschäfts- felder Seidenstraße & Projekt- logistik, Rail Russia und Tanktainer verantwortet, und Sven Wellbrock, in dessen Verantwortlichkeit die Geschäftsfelder Rail Europe und Rail Logistics liegen. Zum VTG-Führungs- trio zählt zudem Finanzvorstand Mark Stevenson. Klimawandel und Klimaschutz sind das Thema der Stunde. Was kann der Schienengüterverkehr zur anstehen- den Energie- und Verkehrswende beitragen? WELLBROCK: Ganz klar: Die Energie- und Verkehrswende kann nur gelingen, wenn wir zunehmend Güter von der Straße auf die Schiene verlagern. Schon vor mehr als 20 Jahren haben wir darauf hingewiesen, dass ein Zug bis zu 52 Lkw ersetzt. Und jetzt schauen Sie heute auf die Autobah- nen und die Staus dort. Die Bahn ist über mittlere und lange Distanzen schon seit Langem deutlich effizienter, auch energie- effizienter als der Straßengüterverkehr. H E U T E . 51 M O R G E N .

sondern gesamteuropäisch. Außerdem hängen wir nicht an staatlichen Sub- ventionen und können es uns gar nicht erlauben, in nicht zukunftsfähige Technik zu investieren. JANSSEN: Private Wagenbetreiber waren schon immer treibende Kräfte für Innova- tionen im Schienengüterverkehr, weil sie ein besonderes Interesse daran haben, Kundenbedürfnisse zu erfüllen. Deren Vielzahl und Breite decken staatliche Bahnunternehmen in der Regel nicht ab. Und auch viele Investoren auf der Suche nach nachhaltigen Geschäftsmodellen sind bereit, in moderne Güterwaggons und innovatives Equipment zu investieren. Die Schiene macht grenzüberschrei- tende Güterverkehre ohne Hindernisse möglich – etwa auch beim wachsen- den Güteraustausch mit Fernost über die „Neue Seidenstraße“. Inwiefern profitieren der Standort Deutschland und Europa davon? WELLBROCK: Für die Wirtschaft Deutsch- lands und Europas ist ein reibungsloser Transport von Gütern über Landesgrenzen hinweg entscheidend. Eine Anekdote zeigt sehr schön unsere Bedeutung: Als es vor einigen Jahren zu Engpässen in der Schienen infrastruktur in Dänemark kam, dauerte es gerade mal zehn Tage, bis die ersten Lebensmittel in den schwedischen Supermärkten knapp wurden. Positiv for- muliert: Wenn die Bahn funktioniert, ist sie das Rückgrat der europäischen Wirtschaft. JANSSEN: Deutschland und Europa können mit uns verlässlich planen. Schon in nor- malen Zeiten stauen sich in chinesischen wie europäischen Häfen die Container. Als das Containerschiff Ever Given dann im Frühjahr 2021 den Suezkanal blockierte, hakte es wirklich im Welthandel. Auf der schienengetriebenen Seidenstraße lassen sich Blockaden einfacher umfahren. Auch deshalb garantiert die Schiene seit Beginn der Coronakrise eine stabile grenzüber- schreitende Versorgung, von Lebensmit- teln bis zu medizinischen Geräten. Eine solche Position bringt viel Verantwortung mit sich – dessen sind wir uns bewusst. „Wenn die Bahn funktioniert, ist sie das Rückgrat der europäischen Wirtschaft.“ Sven Wellbrock, Chief Operating Officer Europe & Chief Safety Officer JANSSEN: Außerdem macht die Digitali- sierung die Schiene leichter zugänglich für potenzielle Nutzerinnen und Nutzer, die ein leicht zu bedienendes und mög- lichst niedrigschwelliges Front-End nutzen möchten. Das gilt besonders für junge Menschen, die heute mit sehr einfach und intuitiv zu bedienenden digitalen Tools aufwachsen. Denselben Anspruch haben sie im späteren Berufsleben dann auch an digitale Lösungen für die Schiene. Daran müssen wir uns messen lassen. Aus welchem Grund können sich vor allem private Wagenbetreiber solche technischen Innovationen leisten? WELLBROCK: Wir denken, im Gegensatz zu den Staatsbahnen, nicht nur im Rahmen eines einzelnen europäischen Staats, H E U T E . 53 M O R G E N .

W enn bei VTG eine Idee geboren wird, muss sie zunächst einer Testfrage standhalten, bevor sie schlussendlich umgesetzt wird: „What’s in it for Klaus?“ Diese Frage stammt aus einer Anekdote, die bei VTG wohl fast jeder kennt. Während eines Strategie-Workshops wurden Kunden zu ihrem Eindruck von Leistungen und Produkten von VTG be- fragt. Unter den Befragten befand sich besagter Klaus, der folgende Kritik äußerte: Er fühle sich als Kunde manchmal alleingelassen, die Leistungen von VTG seien nicht immer auf seine Bedürfnisse zugeschnitten. Was damals eine Art Wachrüttler für viele Produktverantwortliche war, ist heute zu einer beliebten Anekdote in Meetings geworden, wenn über den Kundennutzen einer neuen Idee diskutiert wird. Die Frage „What’s in it for Klaus?“ ist daher auch längst in die DNA der neuen Ideenschmiede übergangen, aus der heute bei VTG ein Großteil der technischen Innovationen entstammt. ERST DAS PROBLEM VERSTEHEN Wenn bei VTG von der Ideenschmiede gesprochen wird, sind im Grunde zwei Abteilungen gemeint: Technical In- novations und das Digital Lab. Im Zusammenspiel kreieren sie Innovationen, die VTG in den vergangenen Jahren als Vorreiter der Branche etabliert haben. Das Team Technical Innovations kümmert sich dabei um alle Innovationen, die das Fahrzeug betreffen. Es wurde im Jahr 2015 ins Leben gerufen, um die VTG-Waggonflotte zu vernetzen und den Kunden mithilfe von elektronischen, telematischen und sensorischen Features einen besseren Service zu bieten. Der Name des Projekts: VTG Connect. Seither ist aus dem Projekt ein ganzes Netzwerk an Sensoren hervorgegangen, über die Auftraggeber ihre Fracht praktisch rund um die Uhr verfolgen können. Neben dem Positionssensor können die Güterwagen von VTG heute zudem mit einem Beladungs- sensor ausgestattet werden, der Auskunft darüber gibt, ob ein Waggon beladen oder leer ist. Auch die Ausstattung mit einem Beschleunigungs- und einem Temperatursensor ist bereits möglich. Weitere Funktionalitäten stecken in der Pipeline. Doch wo landen die Daten, die mithilfe der vernetzten Fahrzeuge gesammelt werden? Mit dieser Frage setzt sich das Digital Lab auseinander. Wie der Name schon vermuten lässt, arbeitet es an digitalen Lösungen wie der Kundenplatt- form traigo, die gewissermaßen den digitalen Rahmen für Raum für Innovation Für die Entwicklung digitaler Ideen hat VTG ein eigenes Digital Lab eingerichtet. H E U T E . 55 M O R G E N .

„Niemand kennt die Kundenherausforderungen besser als die Kunden selbst. Aus diesem Grund sind die Kunden bei der Entwicklung digitaler Produkte vom ersten Tag an Teil des Teams.“ Dr. Niko Davids, Chief Digital Officer bei VTG und Leiter des Digital Labs die VTG-Produkte bildet. Als das Digital Lab 2019 seine Arbeit aufnahm, bestand das Team noch aus drei Mitarbeitenden. Die Größe des Teams hat sich seitdem fast verzehnfacht. „Wir sind damals wie aus dem Nichts entstanden“, erinnert sich Dr. Niko Davids, Chief Digital Officer bei VTG und Leiter des Labs. „Heute sind wir eine Truppe von knapp 30 Perso- nen – bunt gemischt aus jung und alt, Internen wie Externen, Leute mit IT- und Business-Fokus.“ Um die Bedürfnisse des Kunden besser kennenzuler- nen, schlagen Davids und sein Team einen sehr pragmati- schen Weg ein: Sie laden die Kunden zu Vor-Ort-Workshops ins Digital Lab ein und fragen sie, wo der Schuh drückt. Es gehe schließlich nicht darum, ein Problem für eine vorhan- dene oder neue Lösung zu finden, sondern genau umge- kehrt. „Wir machen keinen einzigen Handschlag, bevor wir nicht das Grundproblem der Kunden verstanden haben“, sagt Davids. „Und keiner kennt die Herausforderungen der Kunden besser als die Kunden selbst.“ se haben mit dem Güterwaggon selbst im besten Fall nur am Bildschirm über die traigo-Plattform etwas zu tun. Doch auch das Team von Dr. Hanno Schell, Head of Technical In- novations, verfolgt einen sehr geradlinigen Ansatz, wenn es darum geht, Ideen zu kreieren, um das Produktportfolio von VTG weiterzuentwickeln: „Manchmal kommen einem die Ideen morgens unter der Dusche, manchmal in der Diskussion mit Lieferanten.“ Oft aber auch direkt von den Anwendern selbst – also denjenigen, die tagtäglich am Gleis mit den Wagen zu tun haben. Ein aktuelles Beispiel ist der Kingpin-Sensor. In der Vergangenheit sei es hin und wieder zu Ungereimtheiten beim Verschluss von Taschen- fahrzeugen gekommen, sagt Schell. „Also haben wir uns hingesetzt und uns gefragt: Was können wir dagegen tun?“ Heraus kam das Konzept für ein sensorisches Überwa- chungssystem, das daraufhin mithilfe zweier Partner ent- wickelt und getestet wurde. „Nun stehen wir bereits kurz vor dem Roll-out. 2022 soll der Kingpin-Sensor an jedem Taschenwagen von VTG verbaut werden“, so Schell. STANDARDS SETZEN FÜR DIE GESAMTE BRANCHE Wenn das Team Technical Innovations indes an technischen Finessen für die Schienenfahrzeuge feilt, können sie nur bedingt auf das Feedback von Kunden zurückgreifen. Die- Mit genau dieser Hands-on-Mentalität hat VTG sich über die Jahre in Sachen Innovation eine Spitzenposition in der Branche erarbeitet. Teils wurden Projekte allein um- gesetzt, teils auch zusammen mit großen Partnern wie der H E U T E . 57 M O R G E N .

AUF EINEN BLICK Die Ideenschmiede VTG läuft auf Hochtouren und überführt die Schiene mit spannenden Projekten peu à peu ins digitale Zeitalter. Vier Innovationen von Technical Innovations und dem Digital Lab von VTG stellen wir im Folgenden vor. VTG Connect Projektbeginn: Ende 2016 traigo Projektbeginn: Frühjahr 2019 Eine vernetzte Welt verlangt auch eine vernetzte Schiene. VTG führte hierfür als erstes Unternehmen der Branche flächendeckend den digitalen Güterwagen, ausgerüstet mit Telematiksystemen, ein. Ziel ist es, Daten zu gewinnen. Diese werden zum einen für die Optimierung von Logistik- prozessen und Instandhaltungssystemen genutzt. Zum anderen werden sie den Kunden auf der Digitalplattform traigo bereitgestellt. Mit traigo hat VTG praktisch den Grundstein für die eigene Digitalisierung des Geschäftsmodells gelegt. Diese digitale Kundenplattform stellt vielfältige digitale Tools und Informationen für einen smarten Schienen- güterverkehr zur Verfügung und ist damit die Schnitt- stelle für ein digitales Flotten management. 2021 hat traigo drei Auszeichnungen gewonnen: den Deutschen Mobilitätspreis, den Digital Leader Award und die Auszeichnung „Champion der digitalen Transformation“. Vorausschauende Instandhaltung Projektbeginn: Mitte 2019 m² Projektbeginn: Mitte 2018 Die Instandhaltung von Schienenfahrzeugen ist schon immer ein sehr zeitaufwendiges Unterfangen. Ihr Zustand muss laufend überwacht werden, damit keine Schäden übersehen werden, die zu Unfällen führen können. Hierfür sollen künftig Teststationen an den Schienen errichtet werden, die während der Fahrt zum Beispiel den Abnutzungsgrad der Bremssohlen prüfen. Bei hoher Abnutzung kann die Reparatur über traigo in die Wege geleitet werden. Bei m² – gesprochen „M Quadrat“ – handelt es sich um ein Gemeinschaftsprojekt von VTG und DB Cargo. Ziel ist es, neuartige Tragwagen zu entwickeln, die äußerst flexibel auf unterschied- liche Transportzwecke und damit individuell auf Kundenbedürfnisse zugeschnitten werden können. Hierfür werden Tragwagen vom Transportbehälter getrennt, standardisiert und modular. H E U T E . 59 M O R G E N .

Radsatzwelle Die Radsatzwelle ist eines der sicherheits- technisch wichtigsten Teile an einem Waggon. Umso größer der Wellendurchmesser bzw. umso dicker die Welle ist, desto geringer ist deren Oberflächenspannung. Eine geringe Spannung sorgt dafür, dass Risse möglichst nicht entstehen – und dennoch entstandene Risse nur langsam wachsen. Eisenspäne Riss Magnetisierung Magnetpulverprüfung Um Risse an der Oberfläche der Radsatz- wellen früh zu erkennen, werden diese regelmäßig überprüft. Dazu wird erst der Korrosionsschutz abgestrahlt, dann die zu prüfende Welle magnetisiert und anschließend eine mit magnetischen Partikeln versetzte Flüssigkeit aufge- bracht. Die Partikel sammeln sich im Bereich der Risse, die sich z. B. durch Korrosionsnarben bilden können. Mit diesem Verfahren lassen sich – anders als bei den teilweise noch verwende- ten Ultraschallprüfverfahren – auch kleinere Risse erkennen. Radscheiben Rad-Schiene-Kontakt Früher waren die Stege der Radscheiben flach: Bei einer nicht gewollten Dauerbremsung erwärmte sich das Material von Radkranz und Radsteg unterschied- lich und dehnte sich auch unterschiedlich aus. Dies konnte zu erheblichen Spannungsunterschieden in der Radscheibe und schlimmstenfalls zum Scheibenbruch führen. Die Stege moderner „Glockenräder“ sind S- oder glockenförmig. Dadurch kann sich der Radsteg bei hohen Temperaturen im Radkranz besser ausdehnen und so das Entstehen von Rissen verhindern. Die Stelle, an der das Rad auf die Schiene trifft, bildet einen Berüh- rungspunkt zwischen Bauingenieur- und Maschinenbauwesen. Der Rad-Schiene-Kontakt ist kaum größer als ein Fünf-Cent-Stück, aber er beeinflusst Lärm, Tempo, Stabilität und Schienenabrieb beim Fahren. Darum regeln europäische Normen, dass Profile von Schiene und Rädern optimal aufeinander abgestimmt sind. H E U T E . 61 M O R G E N .

ZU GAST IN ELZE Gerade einmal eine Handvoll Fabriken gibt es heute noch in Deutschland, in denen neue Güterwaggons gefertigt werden. Eine von ihnen liegt im beschaulichen Elze nahe Hannover. Im Waggonbau Graaff werden qualitativ hochwertige Kesselwagen produziert. Seit 2008 gehört das Werk zur VTG-Gruppe. Doch die Geschichte der Fabrik reicht sehr viel weiter zurück. Ein Besuch vor Ort. Lange Geschichte: Bevor sie zum Waggonbau wurde, produzierte die Elzer Fabrik unter anderem auch Zucker, Lkw-Anhänger und Rolltreppen. H E U T E . 63 M O R G E N .

Größtenteils für den Eigenbedarf: Etwa 400 Kesselwagen werden jedes Jahr im Elzer Werk hergestellt. Von höchster Güte: Kesselwagen aus dem Werk von Waggonbau Graaff stehen für Qualität. Sie befahren die Schienen der ganzen Welt. am 17. Oktober 2008 schließlich die Übernahme und Ein- gliederung des Werks in den VTG-Konzern. QUALITÄT „MADE IN ELZE“ Knapp 400 Waggons verlassen seit der Übernahme jährlich die Hallen in Elze – größtenteils für den Eigenbedarf. Bis- lang geht der Plan von VTG auf: „Das Werk in Elze ermöglicht es uns, unsere Flotte laufend zu erneuern. Zwischen 30 und 40 Prozent der Waggons gehen aber auch an dritte Kunden raus“, erzählt Thomas Jussen, einer der Geschäftsführer der Waggonbau Graaff GmbH. Neubau-Werke wie das in Elze gebe es in Deutschland kein zweites Mal. Produziert werden ausschließlich qualitativ hochwertige Kesselwagen, die beim Transport von Flüssigkeiten und Gasen zum Einsatz kommen. Man sei in der Lage, auch kleinere Stückzahlen effizient zu produzieren. „Das können 10 oder 20 Waggons sein, be- vor wir die komplette Fertigung wieder auf einen anderen Wagen typ umstellen“, beschreibt Jussen die Besonderheit des Elzer Werks. „Das können nicht viele am Markt!“ Zurück am Fuße des Schornsteins beginnt die Werks- führung. Mit dem Betreten der Fertigungshalle findet man sich schnell in einer anderen Welt wieder. Befand man sich eben noch im sonnigen, ruhigen Morgenidyll, ist das Bild im Innern geprägt von dem Blitzen der Schweißgeräte. Krachende Hammerschläge sorgen für die passende akus- tische Untermalung des Geschehens. Darunter Mitarbei- tende in wuchtigen Schutzmonturen, die ihrem Handwerk nachgehen. Jeder Handgriff sitzt, wurde schon tausendfach ausgeübt. Es herrscht ein reges Treiben, in dem man sich schnell verlieren kann. Herausgerissen wird man nur, wenn wieder einer der halbfertigen Kessel an einem der Kräne über den Köpfen hinweggleitet, wie ein Zeppelin aus acht Tonnen Stahl. Vom Zuschneiden der Bleche bis zur Auslieferung als fertiger, auf Hochglanz polierter Kesselwagen verge- hen in der Regel sechs bis acht Tage. Möglich machen das auch schwere Maschinen, die den Fabrikarbeitern bei der schweißtreibenden Arbeit unter die Arme greifen. „Wir sind heute Europas modernste Fertigungsanlage im Kesselbau. Vieles läuft schon automatisiert“, sagt Vogel. Das war nicht immer so: „Es gab Zeiten, da wurde die Fabrik noch ne- ckisch als Knochenmühle bezeichnet. Die Arbeit war schon immer gut bezahlt, aber in der Vergangenheit auch mit hoher körperlicher Belastung verbunden“, erinnert er sich. Diese Zeiten sind glücklicherweise längst vorbei. Das Waggonwerk in Elze ist heute deutlich fortgeschritten, H E U T E . 65 M O R G E N .

bietet ihnen die Möglichkeit, in geschützter Atmosphäre sehr schnell mit anzupacken. Eine bessere Motivation gibt es in meinen Augen nicht“, ist Vogel überzeugt. Bei den Auszubildenden hat Waggonbau Graaff sich so bereits einen exzellenten Ruf erarbeitet. Viele kamen über Mundpropaganda – so auch Riklef Mademann. Er ist im zweiten Ausbildungsjahr und vertritt die Auszubildenden des Standorts. Mademann zieht ein positives Zwischenfazit seiner bisherigen Zeit bei Graaff: „Wenn man sich ein biss- chen mit der Geschichte hier auseinandersetzt, was alles mal gewesen ist und wo wir heute stehen – das ist schon spannend!“ Einzigartig sei für ihn das Miteinander – oder wie er es nennt: das „Graaff-Gefühl“. Mit drei Jahrzehnten Betriebszugehörigkeit mehr auf dem Buckel stößt Vogel ins gleiche Horn: „Ich fühle mich hier wohl. Selbst nach all den Jahren ist jeder Tag ein neues Abenteuer. Man kann sagen, dass die Fabrik meine Heimat geworden ist.“ was das Thema Arbeitssicherheit angeht. „Noch in den Achtzigern und Neunzigern hatte Graaff praktisch eine eige- ne Station im Gronauer Krankenhaus“, erinnert sich Vogel. An seinem ersten Arbeitstag trug er noch Baumwollhand- schuhe. Schwere Schnittverletzungen waren daher keine Seltenheit. Moderne Maschinen wie computer gesteuerte Schweißträger haben den Arbeitsplatz für Fabrikarbeiter in- zwischen sehr viel sicherer und ergonomischer gemacht. Spezielle Schutzausrüstung beim Schweißen verhindert, dass Staub in die Lunge gelangt, und die Sicherheits- kampagne CERO zielt darauf, das Sicherheits bewusstsein bei allen Mitarbeitenden weiter zu verbessern und die Zahl der Unfälle auf ein Minimum zu begrenzen. DAS GRAAFF-GEFÜHL Nach knapp zwei Stunden ist die Führung durch die Werks- hallen beendet. Doch eine Station hat Vogel noch für den Schluss aufbewahrt – das neue Schmuckstück des Werks, wenn man so will. Nicht weit von den Produktionshallen macht er vor einem Gebäude halt. In großen blauen Let- tern prangt es über seinem Eingang: Ausbildungszentrum. Drinnen erwartet uns eine helle Werkstatt, ausgestattet mit modernen Werkbänken und zahlreichen Schweißkabinen. Ein Radio läuft, Auszubildende gehen geschäftig ihrer Arbeit nach, die Atmosphäre ist entspannt. Hier können seit Ok- tober 2021 angehende Konstruktionsmechanikerinnen und -mechaniker abseits des hektischen Werksalltags die hohe Kunst des Kesselbaus erlernen. „Am besten lernen sie, in- dem sie etwas Produktives tun“, sagt Vogel. So übernehmen die Auszubildenden zum Beispiel die Gravur der Wagen- schilder und andere kleinere Zuarbeiten. „Das neue Zentrum Schutzausrüstung ist Pflicht: Arbeitssicherheit wird beim Waggonbau Graaff groß- geschrieben. Die Zahl der Unfälle geht kontinuierlich zurück. Riklef Mademann (oben), ist angehender Konstruktions- mechaniker. Die Ausbildung bei Graaff macht ihm Spaß. H E U T E . 67 M O R G E N .

ANDEL „Wollen wir in die Geschichte eingehen als die letzte Generation, die hätte verhindern können, dass unser Klima unwiederbringlich kippt?“ Alexander Gerst deutscher Geophysiker, Vulkanologe und Astronaut *1976 GESTALTEN

Großer Bahnhof Eröffnung der ersten deutschen Bahnlinie zwischen Nürnberg und Fürth, 7.12.1835 (Gemälde von Erich Schilling (1885 – 1945), Verkehrs museum, Nürnberg) des Genres, „Die Zeitmaschine“ von H. G. Wells, erschien 1895. Auch viele Maler wa- ren von der neuen Technologie fasziniert.5 Das erste berühmte Werk, das eine Eisen- bahn darstellt, ist William Turners „Rain, Steam and Speed“, welches erstmals 1844 ausgestellt wurde. Auch hier zeigt sich die Faszination für die Geschwindigkeit dieses neuen Verkehrsmittels. DURCHBRUCH ZUM LEITSEKTOR Die Eisenbahn prägte aber nicht nur ihr kul- turelles Umfeld, sondern noch viel mehr das wirtschaftliche Geschehen. Sie wur- de in eine Ära wachsender internationaler Handelsströme „hineinerfunden“ und trug maßgeblich zu ihrer weiteren drastischen Beschleunigung bei. „Tatsache ist“, schreibt der Wirtschaftshistoriker Gerold Ambrosius in Globalisierung – Geschichte der inter- nationalen Wirtschaftsbeziehungen, „dass durch den neuen, maschinellen Antrieb die Geschwindigkeit, Sicherheit und Regelmä- ßigkeit des Transports zunahmen und die Kosten dramatisch sanken. Erst die Verkehrs- revolution machte es möglich, Güter nicht wie bisher nur in kleinen, sondern in großen Personenwagen Zweiachsig mit Zwischenverbindung, Deutschland Schlafwagen Preußische Staatseisenbahnen ZEITREISE Die historischen Zeichnungen von Spezialformen und Beiwagen der Bahn stammen aus einer Ausgabe der Brockhaus Enzyklopädie aus dem 19. Jahrhundert. H E U T E . 71 M O R G E N .

Personenwagen Zweistöckig, Deutschland Postambulanzwagen Österreich gierten sich die privaten Waggon anbieter: „Die Eigentümer von P-Wagen haben durch entschlossenes Handeln und durch Über- nahme von Risiken auf vielen Gebieten der Weiterentwicklung von Güterwagen eine Vorreiterrolle übernommen“, betonen Jür- gen Hüllen und Richard Neff – beide ehe- malige Geschäftsführer der damaligen VTG- Lehnkering AG – in „Die Güterbahnen“.8 KLEINSTAATEREI ALS HEMMSCHUH Obwohl viele dieser Entwicklungen im Nachhinein fast selbstverständlich wirken, mussten die Akteure im 19. Jahrhundert zahlreiche Hindernisse überwinden. Das Größte davon war möglicherweise die Kleinstaaterei, die besonders Zentraleuro- pa prägte und den Gütertransport auf der Schiene sowohl technisch als auch organi- satorisch deutlich erschwerte. Jedes Land hatte zu Beginn noch eigene Rechtsordnun- gen, Zölle und sogar Uhrzeiten. Hinzu ka- men teilweise unterschiedliche Gleisbreiten und inkompatible Waggons oder Verlade- einrichtungen. Der Wille zur Kooperation war zu- nächst stark begrenzt, weil die Eisenbahnen sehr schnell zu einer lukrativen Einnahme- quelle für die Staatshaushalte wurden. Laut Christopher Kopper setzten sich die Einnah- men der deutschen Länder im Jahr 1911 durchschnittlich zu 50 Prozent aus Steuer- einnahmen und zu 36 Prozent aus den Ge- winnen ihrer Eisenbahnbetriebe zusammen. 5 1 1 e t i e S : s i n h c i e z r e v n e l l e u Q „Die Eigentümer von P-Wagen haben durch entschlossenes Handeln und durch Übernahme von Risiken auf vielen Gebieten der Weiterentwicklung von Güterwagen eine Vorreiterrolle übernommen.“ Jürgen Hüllen und Richard Neff, ehemalige Geschäftsführer der damaligen VTG-Lehnkering AG Sie hatten in den 1870er-Jahren begonnen, verstärkt private Eisenbahnunternehmen aufzukaufen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Deutsche Reichsbahn gegründet, was viele Vereinheitlichungen erleichterte. Die technische Standardisierung begann be- reits Mitte des 19. Jahrhunderts – zunächst auf nationaler, dann auf internationaler Ebene. Dennoch bleibt sie bis heute eine der wichtigsten Baustellen des Schienen- güterverkehrs und erfordert erhebliche In- vestitionen von staatlicher Seite, weil die Gewinnmargen längst nicht mehr mit denen des 19. Jahrhunderts vergleichbar sind. Der Blick zurück auf diese Zeit zeigt, dass große Sprünge möglich sind – wenn wirtschaftli- cher Mut und gesellschaftliche Visionen vor- handen sind. H E U T E . 73 M O R G E N .

Bis 2030 soll der Modal Split des Schienengüterverkehrs nach dem Willen der EU auf 30 Prozent steigen. Dies muss gelingen, um die Verkehrswende weg vom Lkw-Verkehr zu schaffen – und damit auch die Klimawende. Ü ber den Schienengüterverkehr (SGV) lässt sich trefflich herziehen: Verspätungen, Informations- lücken, fehlende Flexibilität, internationale Ab- stimmungsprobleme, Konkurrenz um Trassen, neue Gewerbeansiedlungen ohne Gleisanschluss und extrem lange Infrastrukturplanungs- und -bauzeiten sind einige der Kritikpunkte. Verzichten lässt sich auf diesen Verkehrsträger nicht – im Gegenteil. Die Politik hat ihm eine große Rolle für das Gelingen der Verkehrswende – und damit der Klimawende – zugedacht: Bis 2030 bereits soll der Marktanteil des Güterverkehrs auf der Schiene von 19 Prozent im Jahr 2019 in Deutschland auf mindestens 25 Prozent steigen, europaweit von aktuell 18 auf dann 30 Prozent. Das 2021 verabschiedete EU-Klimagesetz sieht vor, dass bis dahin die gesamten Treibhausgasemissio- nen innerhalb der EU gegenüber dem Wert von 1990 um 55 Prozent sinken. Dieses Ziel rückt für den Güterverkehrssektor unter anderem durch die deutlich bessere CO2-Bilanz des SGVs gegenüber dem Wettbewerber Straße in greifbare Nähe. So emittierten 2019 laut Umweltbundesamt (UBA) Lkw ab 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht 111 Gramm Treib- hausgase pro Tonnenkilometer, Güterbahnen 17 Gramm. Zudem erbringen Bahnen laut dem Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene 92 Prozent ihrer Verkehrsleistung im Güter- verkehr bereits elektrisch mit einem Anteil von 60 Prozent Ökostrom im gesamten deutschen Schienenverkehr 2019. MEHRVERKEHRE DANK INNOVATIONEN Und: Dank Innovationen in den Bereichen Digitalisierung und Automatisierung kann das europäische Schienennetz auch ohne Neu- und Ausbau bereits Mehrverkehre aufneh- men. Wie sich die für den SGV gesteckten Ziele erreichen lassen, erläutert Dr. Martin Henke, Geschäftsführer Eisen- bahnverkehr des Verbands Deutscher Verkehrsunterneh- men (VDV), im Kurzinterview. H E U T E . 75 M O R G E N .

„Es müssen noch größere Hebel in Bewegung gesetzt werden“ Dr. Martin Henke, Geschäftsführer Eisenbahnverkehr des Verbands Deutscher Verkehrs unternehmen (VDV) Herr Dr. Henke, in jüngster Zeit sind diverse Förde- rungen für den Verkehrsträger Schiene in die Wege geleitet worden. Lässt sich mit diesen Mitteln das im 2020 veröffentlichten deutschen Masterplan Schienen verkehr verankerte Marktanteilsziel von mindestens 25 Prozent im Güterverkehr bis 2030 erreichen? Es ist mehr passiert, als wir in der vergangenen Legislatur periode erwartet haben. Aber es reicht nicht für einen Modal Split der Schiene im Güterverkehr von mindestens 25 Prozent. Und 25 Prozent genügen längst nicht, um die Klimaziele zu erreichen. Dafür muss noch schneller gehandelt und es müssen noch größere Hebel in Bewegung gesetzt werden. Welche? Erhebliche zusätzliche Investitionsmittel für Neu- und Ausbau bei DB, NE (Nichtbundeseigene Eisenbahnen) und in den Serviceeinrichtungen sind vor allem ab 2025 erforderlich, wenn tatsächlich beschleunigte Planungs- verfahren und weitere Optimierungen im Planungsrecht für schnellere Projektumsetzungen sorgen. Die politische Unterstützung darf unter anderem in folgenden Punkten nicht nachlassen: • CO2-Bepreisung konsequent an den Klimaschutzzielen orientieren, • EEG-Umlage streichen, • Trassenpreisförderung fortführen, • Innovations- und Forschungsförderung für die Schiene ausbauen, • europaweite Migration der DAK sicherstellen, • Anlagenpreisförderung optimieren, • Gleisanschlussförderung über 2025 hinaus fortschreiben, • KV-Förderung weiterentwickeln, • europaweit nur noch KV-fähige Sattel auflieger zulassen, • innovative Güterwagen entwickeln (modulare Konzepte, neue Werkstoffe etc.), • kein Industriegebiet ohne Gleisanschluss planen. Es gibt also eine Chance, dass die Schiene die ihr zugedachte Rolle in der Verkehrswende erfolgreich spielt? Bei konzentrierter Verfolgung der im 2017 veröffentlich- ten Masterplan für den Schienengüterverkehr festge- legten Projekte und Ziele ist bis Mitte der 2030er-Jahre eine Verdopplung der Kapazitäten für den Schienen- güterverkehr möglich. Wenn auch alle angestoßenen technologischen Entwicklungen Marktreife erlangen, kann der gesamte Straßengüterfernverkehr bis zum Jahr 2050 weitgehend auf die Schiene verlagert werden. H E U T E . 77 M O R G E N .

H istorische Dampflokomotiven waren lange ein Symbol für Gemütlichkeit und die „gute alte Zeit“ – genau das Richtige für einen sonntäg- lichen Familienausflug. In Zeiten des Klima- wandels ist die Begeisterung jedoch nicht mehr ungeteilt, wenn Eisenbahnmuseen ihre alten Schlachtrösser auf Tour schicken. Die zischenden Dampfwolken, die früher Ehrfurcht einflößten, passen nicht mehr zu dem sauberen Image, das sich die Bahn mittlerweile erarbeitet hat. Viel hat sich ver- ändert, seit die ersten Güterbahnen durch Europa keuchten. So lässt sich beispielsweise argumentieren, dass die Energiewende bei der Bahn schon mehr als 100 Jahre vor der Erfindung dieses Wortes begann. Bereits 1879 prä- sentierte das Unternehmen Siemens & Halske, gegründet von Werner von Siemens und Johann Georg Halske, zum ersten Mal eine elektrische Bahn mit Stromzuführung über die Schienen. Die erste elektrische Vollbahn Deutschlands ersetzte im Jahr 1903 zwischen Potsdam und Lichterfelde den Betrieb der Dampflokomotiven, nachdem zuvor bereits einige Güterzüge in England und den USA an den Start ge- gangen waren. Von der frühzeitigen Elektrifizierung vieler Bahn- strecken profitieren wir noch heute, denn der Aufwand dafür ist groß, der Nutzen aber ebenso. Zwar sind auch Diesel antriebe schon etwas umweltfreundlicher als die al- ten Dampfloks, aber sie sind weiterhin auf fossile Energie- träger angewiesen und emittieren somit Schadstoffe und klimaschädliches CO2. Laut Allianz pro Schiene erhöht die E- Mobilität zudem die Leistungsfähigkeit, da sie längere und schwerere Züge ermögliche. Während es sich bei der Elektrifizierung um eine deutlich sichtbare Veränderung handelte, fanden viele der umweltfreundlichen Veränderungen im Güterverkehr seit- Faszination Dampflok: Die zischenden Dampfwolken flößten früher Ehrfurcht ein. Heute wirken sie auf viele befremdlich. her in kleinen Schritten statt, die aber in der Summe auch eine Revolution darstellen. Die kontinuierliche Steigerung der Effizienz war der zentrale Erfolgsfaktor, der es dem Schienengüterverkehr bis heute erlaubt hat, im Wett- bewerb mit Lkw und Binnenschifffahrt zu bestehen. Dies begann bereits um 1850 herum, als man erstmals die Radsätze und Tragfedern signifikant stärkte und damit das Fassungsvermögen der Wagen recht zügig von fünf auf zehn Tonnen Güter erhöhte. Mittlerweile sind es – je nach Wagen typ – oft mehr als 60 Tonnen. Eine weitere wichtige Innovation waren die Drehgestelle, die es auch längeren Wagen ermöglichen, engere Kurven zu nehmen. Ebenfalls große Auswirkungen hatten die Optimierung von Materia- lien, beispielsweise die Verwendung neuer Stahlsorten zur Senkung des Eigengewichts der Wagen ab den 1930er-Jah- ren, und die Entwicklung effektiverer Verarbeitungsmetho- den – so lösten Schweißnähte bereits ab Ende der 1920er- Jahre langsam die Nuten ab. ANGEBORENER VORTEIL Grundsätzlich effizienzsteigernd wirkte sich darüber hinaus die Konstruktion von Spezialwagen für zahlreiche Produk- te aus, weil dadurch der einzelne Wagen mehr Transport- gut fassen kann. Allerdings wird dieser Vorteil oft dadurch aufgehoben, dass die Güter nur in eine Richtung gefahren werden können und die Gegenrichtung als Leertransport absolviert werden muss. Deswegen geht der Trend aktu- ell zur stärkeren Modularisierung von Fahrgestellen und Transportbehältern. Die Standardisierung der Komponenten eines Wagens schreitet ebenfalls immer weiter voran, so- dass Bauteile flexibel verwendet und recycelt werden kön- nen – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur erfolgreichen Kreislaufwirtschaft. Ein häufig unterschätzter Vorteil des Schienengüter- verkehrs gegenüber anderen Verkehrsträgern ist sozusa- gen angeboren, gewinnt aber seit dem 19. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung: der vergleichsweise geringe Flächenverbrauch. Laut Allianz pro Schiene verbraucht ein Kilometer Bahntrasse maximal ein Drittel der Fläche des gleichen Kilometers Autobahn. Dies ist nicht unerheblich, denn bereits jetzt werden fünf Prozent der gesamten deut- schen Fläche für den Verkehr genutzt. Die Bahn kann ihren Vorteil bei der Flächennutzung zukünftig weiter ausbauen, wenn Züge stärker automati- siert gesteuert und somit enger getaktet werden, um die Trassen intensiver auszulasten. Generell bietet die Digita- lisierung viele Möglichkeiten, den Schienengüterverkehr noch effizienter und damit umweltfreundlicher zu gestal- ten, beispielsweise durch ein engmaschiges sensorisches Monitoring der Waggons und ihrer Güter. Die privaten Waggon verleiher sind bei diesen Themen am Ball und wer- den ihren Teil dazu beitragen, dass sich die umweltgerech- te Entwicklung zügig fortsetzt. 79 M O R G E N .

UNSERE SCHRITTE AUF DEM WEG DAHIN ... VTG ist seit 2020 Mitglied der Stiftung KlimaWirtschaft und engagiert sich dort im Arbeitskreis Nachhaltige Mobilität. VTG bietet nicht nur nachhaltige Schienentransport-Lösungen, sondern unterstützt auch die nachhaltige Mobilität unserer Mitarbeitenden, indem wir z. B. die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs durch Zuschüsse fördern und 2022 ein Leasingangebot für Dienstfahrräder schaffen. 66 Tonnen CO2 wird der Umwelt jährlich erspart durch den Wechsel auf LED- Beleuchtung in unseren Werken. Die Umstellung erfolgt schrittweise seit 2018. Durch den Bezug von Strom aus erneuerbaren Energien spart VTG rund 380 Tonnen CO2 pro Jahr in der Unternehmenszentrale in Hamburg. Mehr als 90 Prozent aller Abfälle werden schon jetzt bei VTG recycelt – so leisten wir einen wichtigen Beitrag, Ressourcen zu schonen und Treibhausgase zu vermindern. Fünf- bis zehnmal weniger Wasser werden in den VTG-Werken für Drucktests verbraucht. Rund 90.000 Liter Wasser werden benötigt, um Drucktests bei Tankwagen durchzuführen. Unsere Werke sammeln, lagern und benutzen das Wasser mehrfach: Fünfmal bei Tests an Edelstahlwagen und sogar zehnmal bei Wagen aus unbehandeltem Schwarzstahl. Im Laufe des Jahres 2022 wird auch unser EVU Retrack Germany seinen Strombedarf auf grüne Energie umstellen und so nochmals jährliche Einsparungen in Höhe von 10.250 Tonnen CO2 erzielen. 2021 belegte VTG bei der ersten Teilnahme am weltweiten Nachhaltigkeits- ranking GRESB (Global Real Estate Sustainability Benchmark) Platz 22 unter den rund 550 teilnehmenden Unternehmen im Bereich Infrastruktur und gehört damit zu den Top vier Prozent der nachhaltigen Investments. Bereits im Oktober 2020 platzierte VTG sehr erfolgreich Unternehmensanleihen am US- und Euro-Kapitalmarkt, die durch die „Climate Bond Initiative“ nachhaltigkeitszertifi- ziert waren – das erste „Green Private Placement“ in unserer Unternehmensgeschichte. Wir stehen zu unserer gesellschaftlichen Verantwortung und implementieren alle Anforderungen für das am 1. Januar 2023 in Kraft tretende Lieferketten- sorgfaltspflichtengesetz (LkSG) bereits 2022, um unseren Beitrag zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten zu leisten. H E U T E . 81 M O R G E N .

Es bewegt sich etwas in Europa: Die Schiene bahnt sich nachhaltig ihren Weg in das öffentliche Bewusstsein. Mit der intensiven Klimadebatte hat der Schienenverkehr sowohl in der breiten Öffentlichkeit als auch bei den politischen Entscheidern enorm an Ansehen gewonnen. Die Bahn steht aktuell wie kein anderer Verkehrsträger für eine klimafreundliche Mobilität. D ie Verkehrswende – weg von der Straße, hin zur Schiene – muss vollzogen werden. Das ist allen Verantwortlichen klar. Denn: Allein 25 Prozent der Treibhausgase in der EU entstehen durch den Verkehr. Und nur 0,4 Prozent davon verursacht die Schie- ne. Dennoch findet der Güterbinnenverkehr bis heute zu 75 Prozent auf der Straße statt. Will die Europäische Union wie geplant bis 2050 klimaneutral sein, muss der CO2-Aus- stoß auch beim Gütertransport drastisch gesenkt werden. Damit das gelingt, wurden bereits zahlreiche europa weite Maßnahmen und Investitionen beschlossen. Sei es das Finanzierungsinstrument „Connecting Europe Facility“ (CEF), die Überarbeitung der Richtlinien zum Kom- binierten Verkehr oder die Bereitstellung von Fördermitteln für die „Digitale Automatische Kupplung“ (DAK). Nicht zu- letzt soll auch der europäische „Green Deal“ und die damit verbundene Verordnung zur Klimataxonomie nachhaltige Transporte stärken. Die Verordnung legt fest, welche wirt- schaftlichen Tätigkeiten wesentlich zur Erreichung der EU- Klima ziele beitragen, mit dem Ziel, Investitionen in diese nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten zu fördern. Waggons sind per se eines der nachhaltigsten Transport- und Ver- packungsmittel überhaupt. Sie haben mit über 40 Jahren eine sehr hohe Lebensdauer, bestehen aus voll recycle- baren Materialen und werden in der Regel für den Trans- port verschiedener Güter fortlaufend wiederverwendet. Da die Verordnung jedoch nicht das Transportmittel, sondern den transportierten Inhalt für die Bewertung der Nachhal- tigkeit heranzieht, führt dies zuweilen dazu, dass selbst ei- nige Transporte auf der umweltfreundlichen Schiene künf- tig nicht mehr als nachhaltig eingestuft werden, etwa die Beförderung fossiler Brennstoffe. „Die Schiene muss ihr Angebot kontinuierlich an- passen und sich auch gegenüber Neukunden attraktiv vermarkten, um von ihrem aktuellen Wettbewerbsvorteil langfristig zu profitieren. Denn auch andere Verkehrsträger werden in wenigen Jahren durch neue Antriebstechno- logien für sich beanspruchen können, klimafreundlich zu sein“, sagt Dr. René Abel, Leiter der Unternehmenskommu- nikation bei VTG. Sollen Passagiere und Güter in Zukunft jedoch in hohem Maße dauerhaft auf die Schiene wech- seln, muss sie attraktiver und flexibler sein, ihre Nutzung harmonisiert und vereinfacht werden. Die Wettbewerbsfähigkeit der Eisenbahn steht und fällt zudem mit dem europaweiten Ausbau der Schienen- infrastruktur. Die Entscheidungshoheit, wie viel investiert wird, liegt allerdings bei den einzelnen Mitgliedsstaaten und nicht alle haben hier die Bahn im Fokus. Das zurück- liegende EU-Jahr der Schiene kann da nur ein Anfang ge- wesen sein. Drei Schienenverkehrsexperten erläutern, warum der VCD für ein Bundes mobilitätsgesetz plädiert, die EIM der Meinung ist, dass die Schiene europäischer werden muss, und der VDV mit 13 Milliarden Euro an Investitionen plant. H E U T E . 83 M O R G E N .

„Die Schiene muss europäischer werden“ Monika Heiming ist Geschäftsführerin European Rail Infrastructure Managers (EIM) in Brüssel. Frau Heiming, in welchen Bereichen ist die EIM für den Schienengüterverkehr aktiv und bringt sich ein? Die EIM unterstützt hier ganz explizit, sei es im Rahmen der Schienengüterkorridore, der verbesserten Schienen- anbindung von Häfen und Terminals, der Forderung nach besserer Finanzierung des Netzausbaus oder der verstärkten Digitalisierung. Ein wichtiger Erfolg ist das Vorhaben seitens der EU-Kommission, die Richtlinie zum Kombinierten Verkehr zu überarbeiten, die spätestens für Anfang 2023 geplant ist. Sie soll mehr finanzielle und regulatorische Anreize für den Schienengüter verkehr bie- ten. Ein weiterer Meilenstein ist die von der EU geplante Reform der Schienengüterkorridore Mitte 2022. Sie sieht vor, die Kooperation zwischen den Schienengüterkorrido- ren und den multimodalen TEN-T Kernnetzen zu verstär- ken, neue Infrastruktur- und Betriebsparameter einzufüh- ren und die EU-Finanzierung entsprechend anzupassen. Entscheidend für den sogenannten „mobility shift“ hin zur Bahn ist sowohl der Ausbau des Schienennet- zes als auch der digitale Netzausbau. Ist das allen Entscheidern bewusst? Die Digitalisierung ist essenziell, da intelligente Techno- logien die Kapazität im Schienennetz erhöhen können. Sei es das europäische Eisenbahnverkehrsleitsystem ERTMS, die DAK (Digitale Automatische Kupplung) oder die Digitalisierung von Schienenparametern, Fahrplan- prozessen und der Trassenvergabe. Der Ausbau von 5G-Netzen entlang von Bahnstrecken ist dafür ein wichtiger Schritt. Wir von der EIM sind hier im engen Austausch mit den EU-Institutionen, der ERA und allen Marktakteuren, denn das schaffen wir nur gemeinsam. Wie überall gilt auch hier: Ohne Investitionen keine intel- ligente Infrastruktur. Was muss die Schiene tun, um langfristig wettbewerbsfähig zu sein? Die Schiene muss eindeutig europäischer werden. Dem durchgehenden Zugverkehr sind in Europa immer noch gewisse Grenzen gesetzt, die es abzubauen gilt. Daher ist mehr denn je ein gemeinsames Handeln auf EU- und nationaler Ebene erforderlich. Angesichts der notwendigen Investitionen muss damit vor allem auch eine erheblich höhere Zuverlässigkeit des Bahn- systems erreicht werden. In immer „volleren“ Transport- szenarien braucht es ein Bahnsystem, in dem Passagiere und Güter gleichermaßen pünktlich ankommen. Der Green Deal der EU lässt sich nicht über volkswirtschaft- liche Ressourcenverschwendung im Stau herbeiführen, egal ob auf der Straße oder Schiene. H E U T E . 85 M O R G E N .

WORAUF ES JETZT ANKOMMT Beim Güterverkehr besteht massives, unausgeschöpftes Klimaschutzpotenzial, das nur durch eine konsequente Stärkung des Schienengüterverkehrs gehoben werden kann. Die Pandemie hat zudem gezeigt, wie wichtig resiliente globale Waren- ströme sind. Deshalb braucht es in dieser Legislaturperiode eine konsequente Politik „pro Schiene“. Unsere Impulse hierfür stehen fest: MEHR GÜTERVERKEHR VON DER STRASSE AUF DIE SCHIENE VERLAGERN 1 DIE VERKEHRSVERLAGERUNG muss am Lkw ansetzen: Da 95 Prozent der Trailer nicht kranbar sind, fahren sie lange Strecken komplett auf der Straße. Durch eine Standardisierung der Ladeeinheiten und Kranbarkeit als obligatorische Eigenschaft für neu beschaffte Trailer können schnell deutlich mehr Güter klimafreundlich auf der Schiene transportiert werden. Die zusätzlich benötigte Kapazität, um alle im Kombinierten Verkehr befindlichen Trailer zu verkranen, erfordert einen Ausbau der Terminals und eine Erweiterung der Gleisanschlüsse. Zu- dem sind Investitionen und Verbesserungen der Schieneninfrastruk- tur sowie eine Neustrukturierung der Kosten im Güterverkehr not- wendig. Die Einführung des CO2-Preises war ein erster positiver Anreiz; ein weiterer Ansatz könnte in der weitergehenden und dauerhaften Senkung der Trassenpreise oder in der Befreiung des Schienengüter- verkehrs von der EEG-Umlage liegen. H E U T E . 87 M O R G E N .

DIGITALISIERUNG AUF DER SCHIENE UND IM GÜTERVERKEHR WEITER VORANTREIBEN DIE DIGITALISIERUNG IST EIN „GAME- CHANGER“ in nahezu allen wirtschaftlichen Bereichen. Auch der Schienengüter- verkehr kann von einer noch umfas- senderen Digitalisierung profitieren. Perspektivisch kann eine Vernetzung aller Verkehrs träger dazu beitragen, dass der Kombinierte Verkehr für Logistik- unternehmen und Verlader attraktiver wird. Hierfür braucht es eine gesamt- europäische Roadmap für die Digitalisie- rung des Schienengüterverkehrs, die die verschiedenen existierenden und geplanten digitalen Initiativen intelligent verbindet und aufeinander abstimmt. Zum Wohl des Klimas und zur Entlas- tung der Straßeninfrastruktur. Zentral ist daher eine konsequente Förderung innovativer Ansätze im Bereich der Digitalisierung des Güterverkehrs und ein klares Bekenntnis der neuen Bundes- regierung zum Kombinierten Verkehr. 5 FINANZIELLE INVESTITIONEN IN DIE NACHHALTIGE SCHIENE ANREIZEN DAMIT SICH DER SCHIENENGÜTERVERKEHR behaupten kann, sind langfristige Inves- titionsanreize notwendig. Hierzu bedarf es intelligenter und vorausschauender finanz- und steuerpolitischer Rahmen- bedingungen, die auch Folge- bzw. Zweit- rundeneffekte berücksichtigen, die der an- gestrebten Förderung des Verkehrsträgers Schiene entgegenwirken. Insbesondere vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Neuordnung der Steuer- und Abgaben- systeme im Sinne der Nachhaltigkeit müssen Auswirkungen auf den Schienen- bereich eingeplant werden. Investitionen in klimafreundliche Technologien dürfen nicht erschwert werden. Es braucht stärke- re Anreize. Dafür muss die Ausgestaltung von investitions fördernden finanz- und steuerpolitischen Rahmenbedingungen von den angestrebten Klimaschutz- zielen her gedacht und ganzheitlich be- trachtet werden, um konterkarierende Maßnahmen frühzeitig zu identifizieren und auszuschließen. H E U T E . 89 M O R G E N .

ZUKUNFT LENKEN „Alles, was sich ein Jules Verne französischer Schriftsteller *1828, † 1905 Mensch vorstellen kann, werden andere Menschen verwirklichen.“

DIE SCHIENE WIRD SMART Autonom fahrende Züge, digitalisierte Logistik ketten, smarte Wagen: Digitalisierung und künstliche Intelligenz sorgen für einen nie dagewesenen Innovations- schub und beispiellose Transparenz im Schienengüterverkehr. Für den Verkehrsträger Schiene bricht eine neue Ära an. H E U T E . 93 M O R G E N .

Hauptstrecken lohnt“, sagt Prof. Dr.-Ing. Markus Hecht, Leiter des Fachgebiets Schie- nenfahrzeuge an der Technischen Universi- tät Berlin. Abgesehen vom autonomen Fahren sieht Hecht eine ganze Reihe weiterer Ein- satzgebiete für digitale Technik und KI im Bahnverkehr. Das größte Potenzial werde die Digitalisierung im Rangierbereich ent- falten. Und zwar schon in naher Zukunft. „Das vollautomatische Rangieren von Waggons wird den Schienengüterverkehr effizienter und kostengünstiger machen. Insbesondere der teure Innerwerksverkehr wird sehr viel billiger und schneller“, sagt Schienen verkehrsexperte Hecht. Neben diesen Vorteilen könne die smarte Technik zudem den schon heute vorhandenen und weiter zunehmenden Mangel an Rangier- personal kompensieren. VORAUSSCHAUENDE WARTUNG Doch wie das autonome Fahren auf der Strecke bedarf auch das vollautomatische ferngesteuerte Rangieren großer Investitio- nen. Voraussetzung ist die Digitale Automa- tische Kupplung (DAK), die von 2030 an in ganz Europa Standard sein soll. „Sie ist eine nie dagewesene Chance für die Schiene“, so Hecht. Nicht nur, weil sie das Rangieren stark vereinfache. „Die DAK Typ 4 ermöglicht es zusätz- lich, Güterwagen mit Strom zu versorgen“, erläutert Verkehrstechniker Hecht. „Daraus ergeben sich neue Anwendungen. Wenn wir Strom in den Wagen haben, können wir Sensoren und Signalanalyse einsetzen, die beispielsweise laufend den technischen Zustand des Fahrzeugs kontrollieren.“ Auch Bremsproben oder die technische Abnah- me eines Güterzugs durch Wagenmeister- innen und Wagenmeister vor der Abfahrt verkürzten sich von mehreren Stunden auf nur noch wenige Minuten. „Die Kupplung bringt eine enorme Beschleunigung bei der Zusammenstellung und Abfertigung je- des Zuges.“ Dadurch werde der Schienen- güterverkehr auch für kürzere Relationen konkurrenzfähig. Die neue Technik wird auch die Wartung von Fahrzeugen stark verein- fachen. „Wenn wir digitale Sensoren an Bord haben, die den Zustand jedes Wagens Ferngesteuert Test der französischen Staatsbahn SNCF und ihrer Partner mit autonom fahrender Lokomotive und einem Wagen: Installier- te Kameras lieferten Bilder in Echtzeit. H E U T E . 95 M O R G E N .

reinen Standortermittlung ist längst mehr geworden. „Aus den Positionsdaten können wir Ankunftszeiten berechnen, aber auch Bewegungsmuster ableiten“, sagt Davids. „Wir erkennen, wo die Trampelpfade sind, auf denen sich unsere Wagen bewegen. Damit können wir beispielsweise voraussa- gen, wo mehr und wo weniger Werkstatt- kapazitäten gebraucht werden.“ Auch für eine effiziente Wagendisposition seien die Daten sehr wertvoll. Für die Schiene ergeben sich viele weitere Einsatzmöglichkeiten aus der Digi- talisierung: Weichen, die eigenständig War- tungsbedarf melden, bevor es zu einer Stö- rung kommt. Sensoren, die Defekte an der Oberleitung aufspüren. Vernetzte Drohnen, die Waggondächer, Ladung oder störende Vegetation entlang der Strecke per Kame- ra kontrollieren. Und KI, die all die riesigen Datenmengen selbstständig analysiert und entscheidet, wo und wann Handlungs- bedarf besteht. Auch Davids rechnet mit „sehr spannenden, neuen Anwendungs- fällen“, sagt aber auch: „Es geht nicht darum, all das zu realisieren, was technisch machbar ist. Wichtig ist, dass wir unseren Kunden sehr gut zuhören und erfahren, wo sie Probleme haben oder Optimierungsbedarf sehen. Unsere Aufgabe ist es dann, Lösungen zu finden. Hier bieten sich uns durch die Digi- talisierung, Datenströme, eine Vielzahl von Messgrößen und KI völlig neue Ansätze.“ DIGITALE TRANSPORTPLANUNG Bei der Transportplanung ist dies in Teilen bereits Realität. Die Digitalisierung hilft da- bei, Lieferketten über alle Verkehrsträger und Landesgrenzen hinweg zu knüpfen und zu optimieren. Das hilft den Kunden, weil Transporte schneller, günstiger und qualita- tiv besser werden. Optimierte Lieferketten senken zugleich den Energieverbrauch und helfen so der Umwelt und dem Klima. Auf der digitalen Kundenplattform traigo hat VTG bereits mit der digitalen Transportplanung und Lieferkettenoptimie- rung begonnen. Auf Basis von Hunderten H E U T E . 97 M O R G E N .

Datenübertragung Mithilfe des ETCS- Systems können Zugabstände deutlich verringert werden. Millionen anonymisierter Wagenbewegun- gen zwischen Knotenpunkten können vo- raussichtliche Fahrzeiten im Netz recht si- cher abgeschätzt werden. Derzeit arbeitet VTG daran, solches Wissen nutzbringend für Planungs-Tools zu verwenden, etwa für die Positionierung von Leerwagen oder An- kunftszeitprognosen. KLEINE SCHRITTE, GROSSE WIRKUNG Bis die Schiene aber komplett digital ist, wird es trotz des schnellen technologi- schen Fortschritts noch einige Jahre dauern. Hecht: „Das vollständig autonome Fahren ist sicher die Zukunft. Sehr viel kurzfristi- ger werden viele kleinere Digitalisierungs- schritte in den Bereichen Transportplanung, Rangierverkehr sowie Wartung von Wagen und Infrastruktur einen großen positiven Effekt auf die Transportgeschwindigkeit des Schienengüterverkehrs und seine Wett- bewerbsfähigkeit haben.“ Auch Davids sieht in den kleineren Use Cases die größten Zukunftschancen. Und wo steht die Schiene in 20 Jahren? „Die Transport- und Logistikbranche wird zu einem nahtlosen Ökosystem verschie- dener Verkehrsträger zusammengewach- sen sein. Die Schiene wird ein essenzieller Bestandteil der Transportketten werden und einen wichtigen Beitrag zum Klima- schutz leisten.“ H E U T E . 99 M O R G E N .

Internationale Vorreiterrolle In Europa soll die fortschrittlichste Kupplung eingesetzt werden, die DAK Typ 4. Ständige Energieversorgung Sensoren sind mit Energie versorgt; Datenübermittlung erfolgt lückenlos. Schnellere Zugabfertigung Die DAK ermöglicht eine automatische Bremsprobe und so schnellere Abfertigung. Höhere Kapazität Die DAK erlaubt längere Züge dank einer größeren Zughakenlast. Digitalisierte Logistikketten Intelligente Züge ermöglichen eine enge Vernetzung der Verkehrsträger. Verbesserte Sicherheit Niemand muss im Berner Raum – dem Be- reich zwischen den Wagen – arbeiten. Optimierte Klimabilanz Mit der DAK können mehr Güter auf die nachhaltige Schiene kommen. B is zu 40 Prozent mehr Kapazi- tät auf Rangier- und Umschlag- anlagen? Je nach Verkehrslage dynamisierte Abstände zwischen Zügen, sodass die Trassen besser ausgelas- tet werden können? Das ist fast ohne Infra- strukturausbau möglich, wenn alle Wagen und Triebfahrzeuge in Europa mit Digitalen Automatischen Kupplungen (DAK) ausge- rüstet werden. Sie sind eine unabdingbare Voraussetzung für die Digitalisierung und Automatisierung des Schienengüterverkehrs (SGV) und damit dafür, die den Bahnen zu- gedachten Mengensteigerungen im Rahmen der Verkehrswende bewältigen zu können. Warum? Die in Europa neu ent- wickelte DAK ermöglicht nicht nur die automatische Verbindung von Wagen und Bremsleitung, sondern auch von Strom- und Datenleitungen. Mit ihr werden schnel- lere Kupplungsvorgänge und beschleunigte betriebliche Abläufe wie die automatische Bremsprobe sowie – in Verbindung mit ei- ner elektropneumatischen Bremse – schwe- rere und gegebenenfalls auch längere Züge im SGV Realität. So steigt die Effizienz und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Bah- nen im Vergleich mit Lkw. Gleichzeitig lässt sie den Einsatz von IT-Anwendungen zu, die beispielsweise eine bessere Ladungs- überwachung bieten und die Einbindung in digitalisierte Logistik ketten erleichtern. Doch nicht nur das: Die DAK macht den Schienengüterverkehr sicherer, weil keine Menschen mehr im Berner Raum – dem Platz zwischen den Wagen – arbeiten müssen. Und: Wenn der SGV besser läuft, kommt mehr Fracht auf die Schiene. Das wiederum kommt der Klimabilanz des Ver- kehrs insgesamt zugute. FINANZIERUNG UND MIGRATION Es gab immer wieder Anläufe, den euro- päischen SGV auf die weltweit verbreite- ten automatischen Mittelpufferkupplungen umzustellen, die es etwa in Nordamerika seit 1893 gibt. Doch die hohen Kosten und der fehlende Schulterschluss der Branche für eine schnelle Umrüstung, um die Zeit H E U T E . 101 M O R G E N .

Betrieb in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die ersten Ergebnisse aus den Er- probungsversuchen wurden der europäi- schen Kollaborationsplattform EDDP für die Auswahl des Kupplungskopfs übergeben, sodass im Herbst 2021 eine Entscheidung über ein standardisiertes Kupplungskopf- design getroffen und ein wichtiger ers- ter Meilenstein erreicht wurde. Anfang 2022 ist ein Demonstrationszug mit dem ausgewählten Kupplungsdesign für eine europaweite flächendeckende Einführung gestartet, der auch in anderen Ländern Europas verkehren soll. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV, vormals BMVI) gefördert. Die Deutsche Bahn als Konsortialführerin, deren Tochter DB Cargo, die österreichi- sche und die schweizerische Güterbahn Rail Cargo Austria und SBB Cargo sowie die Wagen halter GATX, Ermewa und VTG sind an DAC4EU beteiligt. Die Migration der DAK ist ab 2025 geplant und soll 2030 abgeschlossen sein, wie aus dem Konzept für die EU-weite Migration eines Digitalen Automatischen Kupplungssystems für den Schienengüter- verkehr hervorgeht, das die hwh Gesell- schaft für Transport- und Unternehmensbe- ratung mbH für das BMDV erstellt hat. Im Rahmen des EDDP wird die technologische, betriebliche und wirtschaftliche Umsetzung der Güterwagenumrüstung europaweit ko- ordiniert. Stefan Hagenlocher, geschäfts- führender Gesellschafter der hwh und hauptverantwortlich für die Arbeitsgruppe „Technology, Standards und Operations“ beim EDDP, ist optimistisch: „Die Arbeiten im EDDP schreiten sehr gut voran und sind getragen von einer breiten Mitwirkung der Unternehmen des Sektors SGV aus vielen EU-Mitgliedsstaaten. Insbesondere bei den technischen und betrieblichen Vorausset- zungen gibt es große Fortschritte.“ Aber: „Herausfordernd bleiben auch weiterhin die Erstellung eines realisierbaren Migra- tionsplans sowie von belastbaren Konzep- ten zur Förderung und Finanzierung dieses Jahrhundertprojekts für den SGV.“ H E U T E . 103 KNAPP ZU 485.000 WAGEN UND RUND 17.000 TRIEBFAHRZEUGE MIT MRD. EUR 10KÖNNTE ES KOSTEN, EUROPAWEIT BIS DIGITALEN AUTOMATISCHEN KUPPLUNGEN AUSZURÜSTEN. Allein VTG verfügt über rund 88.500 GÜTERWAGEN UND 5.000 TANKTAINER. In Deutschland werden täglich im Schnitt 54.000 Güterwagen ge- und entkoppelt, in Europa rund 400.000. 760 Mio. EUR jährlich beträgt schätzungsweise der volkswirtschaftliche Nutzen nach der Umrüstung für die EU-27-Länder, Großbritannien, die Schweiz und Norwegen. M O R G E N .

E s läuft wie am Schnürchen: Lkw bringen Ladung in Containern, Wechselaufbauten und Sattelaufliegern zum Umschlagterminal, Kräne heben die Lade- einheiten auf bereitstehende Bahnwagen, die Züge fahren zum Zielterminal, noch eine Kranung und dann beför- dern Lkw die Einheiten auf den letzten Meilen zum Kunden. Die Kombination aus Straße und Schiene gibt es schon seit mehr als einem halben Jahrhundert. Kein Wun- der, dass diese Idee bis heute erfolgreich ist: Kombinierte Verkehre Schiene-Straße (KV) verbinden die Vorteile von zwei Verkehrsträgern perfekt – die Flexibilität des Lkw in der Fläche und die Umweltfreundlichkeit der Bahn auf der Langstrecke eines Transports. Entsprechend liegen große Hoff- nungen auf dem KV als einem Baustein der Verkehrs- und Klimawende. 2019 habe sein Anteil an der Beförderungsleistung im Schienengüterverkehr (SGV) international etwa 50 Prozent betragen, sagt Ralf-Char- ley Schultze, Präsident der Internationalen Vereinigung für den Kombinierten Ver- kehr Schiene-Straße, UIRR. Sein Blick in die Zukunft: „Wenn ich bis 2050 den SGV verdoppeln will, muss ich den KV bis da- hin verdreifachen. Und wenn pro Jahr das Frachtvolumen im KV um sieben bis acht Prozent zunimmt, lassen sich allein da- durch die CO2-Einsparungen erreichen, die die EU-Kommission für den Landverkehr in Europa vorgesehen hat.“ Nutze man im Vor- und Nachlauf dann emissionsfreie Lkw und wäre auch der Umschlag CO2-frei, sei der gesamte kombinierte Trans- port klimaneutral. Head of Sales Coordination des Intermodal-Segments von VTG Rail Europe. Und weiter: „Noch immer bestel- len Transport unternehmer vor allem nicht kranbare Trai- ler. Damit uns die Zeit im Klimarennen nicht davonläuft, bieten wir zusammen mit dem Logistiker Vega nun eine Lösung für rund 90 Prozent aller nicht kranbaren Auflieger in Europa.“ Beim System roadrailLink (r2L) werden nicht kranbare Sattelauflieger in einem Korb auf Taschenwagen verladen. Hunziker: „Wir können europaweit in bestehen- de intermodale Systeme integrieren und sind daher kein Nischenprodukt, sondern haben ein flächendeckendes An- gebot. Heute!“ VTG geht noch weiter, denkt den Waggon mit Korb als Paket und plant ein internatio- nales KV-Zugsystem mit dem VTG-eigenen EVU Retrack. Dass r2L ein überzeugendes Best-Practice-Beispiel der Verkehrswende darstellt, zeigt auch der Gewinn des Deut- schen Verkehrswendepreises der Allianz pro Schiene im Frühjahr 2022, bei dem sich das Siegerprojekt im Wettbewerb gegen mehr als 50 eingereichte Projekte durchgesetzt hat. Jedoch sieht Hunziker Hindernisse bei der relevanten Steigerung des KV-Auf- kommens. VTG fordert daher von der Politik den Ausbau zumindest der internationalen Korridore im SGV für 740 Meter lange Züge und ihre Elektrifizierung, neue und digita- lisierte Terminals, eine Harmonisierung der internationalen Regeln inklusive der Digita- lisierung der Frachtpapiere und die Einführung einer gemein- samen Verkehrssprache. Güterverkehr auf der Schiene müs- se einfacher werden – und damit attraktiver, so Hunziker. „Jedes System, das vom Markt angenommen wird, hat seine Daseins- berechtigung.“ Marc Hunziker, Head of Sales Coordination des Intermodal-Segments von VTG Rail Europe MEHR KAPAZITÄT DURCH MEHR QUALITÄT Als größten Hemmschuh für diese Steigerungen erachtet Schultze die fehlende Qualität, genauer: mangelnde Pünkt- lichkeit. Um sie zu verbessern, fordert er beispielsweise prioritäre Trassen für den SGV. Hinzu kommt, dass rund 90 Prozent der Trailer in Europa nicht kranbar sind. Doch es gibt bereits Lösungen: Besondere Verladeanlagen neben den Gleisen, spezielle Wagen sowie kranbare Wannen und Plattformen, die mit den Aufliegern zusammen verladen werden, oder Umrüstungen machen nicht kranbare Sattel- auflieger KV-fähig. Viele Systeme sind allerdings nur auf ausgewählten Relationen unterwegs. Trotzdem: „Jedes System, das vom Markt angenom- men wird, hat seine Daseinsberechtigung – schließlich hilft es, CO2-Emissionen zu vermeiden“, sagt Marc Hunziker, MIT GUTEN BEISPIELEN VORAN Gute Voraussetzungen für weiteres Wachstum hat der KV: Die Einbindung der Lieferketten in die Nachhaltigkeits- bestrebungen der Verlader treibt den SGV und damit auch den KV. Steigende CO2-Preise spielen auch für den SGV eine Rolle. Die Umschlagterminals werden zunehmend auto- matisiert, sodass Züge noch schneller be- und entladen werden können. Die Standardisierung im KV geht voran. Diverse Verladetechniken für nicht kranbare Sattelauflie- ger sind auf dem Markt. Kapazitäten sind im KV noch vor- handen: Schultze ist sicher, dass allein durch eine bessere Qualität das bestehende Angebot bereits Platz für 15 bis 20 Prozent mehr Ladung böte. Er betont: „Der KV ist in weiten Teilen wirtschaftlich, sonst würden nicht so viele Spediteure auf ihn setzen. Die Branche steht bereit für ‚fit for 55‘!“ H E U T E . 105 M O R G E N .

Diese Entwicklung erwartet er auch im Transport- und Logistiksektor: „Er ist hoch- gradig fragmentiert, in vielen Bereichen in- effizient und darum geradezu prädestiniert für Plattformlösungen.“ Noch steht die Transport- und Logistik branche im Vergleich zu anderen Bereichen am Anfang der Digitalisierung, die Basis für die Plattformökonomie ist. „Doch das Potenzial gerade für die Schiene ist enorm“, sagt Thomas Dittmann, Head of Digital Products bei VTG. „Wir arbeiten in- tensiv daran, dieses Potenzial mit unserer 2020 gestarteten Plattform traigo zu heben und Kunden verkehrsträgerübergreifend individuelle, transparente Transportlösun- gen aus einer Hand mit dem Fokus Schie- ne anzubieten.“ Die Plattform sei eine Ein- ladung an alle Transportanbieter, von der Schiene über den Lkw bis zum Schiff, sich „traigo vereinfacht die gesamte Planung von Verkehren und macht sie über alle Verkehrsträger und Landesgrenzen hinweg schneller und transparenter.“ Thomas Dittmann, Head of Digital Products bei VTG A mazon, Booking.com, Uber: Innerhalb weniger Jahre ist es großen digitalen Platt formen gelungen, das klassische B2C- Geschäft weltweit zu dominieren. Das Plattformprinzip ist einfach: Der Betreiber bringt Anbieter und Nachfrager auf einem digitalen Marktplatz zusammen, schafft wertvolle Netzwerkeffekte und verdient als „Matchmaker“ an den Transaktionen. MEHRWERT FÜR SCHIENENKUNDEN Digitale Plattformen sind vor allem des- halb so erfolgreich, weil sie Kunden einen großen Mehrwert im Vergleich zum klassi- schen B2C-Geschäft bieten. Auf Plattformen sind Preise und Leistungen jederzeit trans- parent. Nutzende können zudem schnell und bequem auf Angebote vieler unter- schiedlicher Unternehmen zugreifen. „Dieses Konzept ist für Kunden sehr attraktiv, die Nutzung entsprechend hoch. Davon profitieren wiederum auch die An- bieter. Immer mehr Unternehmen schließen sich der Plattform an, was sie für Kunden noch interessanter macht“, sagt Dr. Holger Schmidt, Digital Economist und Dozent für digitale Transformation an der Technischen Universität Darmstadt. „Diese Netzwerk- effekte sind ein enormer Vorteil für die Plattform, die so stetig wächst. Das bringt Plattformen gegenüber einem klassisch agierenden Unternehmen entscheidende Wettbewerbsvorteile.“ Allerdings begünstigt die Plattform- ökonomie auch die Monopolbildung. Ein Gros aller Werbeausgaben weltweit vereint sich auf wenige Player. Plattformbetreiber profitieren zudem von einer Verknüpfung der Nutzerdaten auf verschiedenen Diens- ten. Zumindest in Europa ist dies oftmals durch Gesetze eingeschränkt. SIEGESZUG DER PLATTFORMEN Längst beschränkt sich der Siegeszug der digitalen Plattformen nicht mehr nur auf den Handel. Mit der digitalen Transforma- tion erobert das Geschäftsmodell Branche um Branche. Ob Banking, Karriereportale oder Lieferdienste: „Überall dort, wo Platt- formen agieren, sind sie höchst erfolgreich und übernehmen eine führende Rolle in den jeweiligen Märkten“, sagt Schmidt. H E U T E . 107 M O R G E N .

MEHR GÜTER AUF DER SCHIENE Unterdessen arbeitet VTG weiter an der digitalen Zukunft der Schiene. In Koopera- tion mit dem Schweizer Start-up Nexxiot rüstet VTG Güterwagen mit vernetzten Sensoren aus, damit Kunden temperatur- sensible Ware sicher auf der Schiene trans- portieren können. Bei Abweichungen vom Temperatur-Soll erhalten Kunden via traigo eine Echtzeitnachricht, damit sie sofort re- agieren können. Weitere plattformbasierte Services und Features für Kunden sind in Vorberei- tung. Dittmann: „Die Digitalisierung wird künftig vieles möglich machen. Es ist bei- spielsweise Teil unserer Strategie, jeden un- serer Wagen in Zukunft mit einem digitalen Zwilling nachzubilden.“ Das virtuelle Abbild verarbeitet Daten aus dem realen Fahrzeug. „Das bringt maxi- male Transparenz über Standort und Zustand des Wagens für unsere Kunden und hilft da- bei, Störungen der Lieferkette zu minimie- ren.“ Weniger Störungen bedeuten zugleich mehr Transportkapazität auf der Schiene. Diese wird dringend benötigt, damit der Schienengüterverkehr effizienter und schneller wird und den Anforderungen der Zukunft gewachsen ist. „Die Erreichung der verkehrspolitischen Ziele des Masterplans Schienengüterverkehr bedeuten nahezu USA 74 % A M P S E S T C Microsoft Apple B Facebook S L C E S Alphabet W D P S P O P U T N I S Amazon T R D I G 50 Prozent mehr Verkehrsleistung auf der Schiene“, sagt Dittmann. Dies sei nur mit der Entwicklung di- gitaler Konzepte und Zusammenarbeit aller Branchenakteure zu schaffen. Übersichtlich Das Design der traigo- Benutzeroberfläche ist ein Schlüssel zum Erfolg beim Kunden. IN 15 JAHREN LÄUFT ALLES DIGITAL Schmidt sieht das ähnlich wie Dittmann: „Die Transport- und Logistikbranche muss kooperative Ansätze wählen, um die Frag- mentierung zu überwinden und ihre kollek- tive Marktmacht zu stärken. An gemeinsa- men Plattformlösungen führt deshalb kein Weg vorbei.“ Seine Prognose: „In 10 bis 15 Jahren wird die Branche digitalisiert und eine völ- lig andere sein. Dann werden Plattformen die Hauptrolle spielen.“ S E R A Y A A C H F J S D K EUROPA 3 % AFRIKA 1 % N P M E C Z Wertanteil an Top-100 Plattformen ASIEN-PAZIFIK 21 % B T Sea Tencent Alibaba L C B N S S Y Y R W Meituan D K B P A P M K K N S G J V M P W O W J Ping An B G B M O R G E N . H E U T E . 109

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miteinander vernetzt sind und somit einen geringeren Sicherheitsabstand benötigen. AMBITIONIERTE PROJEKTE niederländisch-deutsches Gemein- Ein schaftsprojekt ermöglicht bereits jetzt ei- nen Blick in diese Zukunft. Zwischen dem Hafen Rotterdam und dem Ruhrgebiet soll bis 2025 die Steuerung und Fernüber- wachung automatisierter Züge im Güter- verkehr erprobt werden. So soll nicht nur eine bessere Ausnutzung der Strecken- kapazitäten erreicht werden, sondern auch eine Erhöhung der Sicherheit. Dazu werden die Zugsteuerung und die Betriebsprozesse ganz oder teilweise von einem auf der Lok installierten Rechner übernommen. Der Mensch behält weiterhin eine bevorrechtigte Rolle als Systemüberwacher und zentra- le Steuerungsinstanz, allerdings erfüllt er diese Aufgaben per Fernüberwachung. Ein einjähriger Probetrieb auf freier Strecke ist für das Ende des Projektzeitraums vorge- sehen. Noch mehr Potenzial entfalten die digitalen Technologien, wenn sie mit ambi- tionierten Infrastrukturprojekten einherge- hen. Die Schweiz ist hier einmal mehr der Vorreiter für die Bahn der Zukunft. Im Pro- jekt „Cargo sous terrain“ kooperieren mehr als 80 Unternehmen, um den kleinteiligen H E U T E . 113 M O R G E N .

Impressum HERAUSGEBER VTG Aktiengesellschaft Nagelsweg 34, 20097 Hamburg Telefon: +49 40 23 54-0 E-Mail: Web: info@vtg.com www.vtg.com CHEFREDAKTION Alexandra Regner, Dr. René Abel Layout: C3 Creative Code and Content GmbH, Hamburg Redaktionsleitung C3: Elena Rudolph Redaktion: Judy Born (S. 16, S. 20, S. 38, S. 82), Claus Hornung (S. 26, S. 60), Axel Kölling (S. 70, S. 78, S. 110), Jens Lehmann (S. 40, S. 92, S. 106), Gerrit Reichert (S. 6, S. 36), Florian Sievers (S. 46, S. 50), Philipp Stiens (S. 54, S. 62), Kerstin Zapp (S. 10, S. 12, S. 74, S. 100, S. 104). Artdirektion C3: Eva-Maria Ostendorf Lithografie: Giesick I Medien Produktion Hersteller: Print Alliance HAV Produktions GmbH Herstellungsort: Druckhausstraße 1 A-2540 Bad Vöslau Redaktionsschluss: Februar 2022 BILDNACHWEISE Cover: shaunl/Getty Images, S. 1: Christian Kerber, Christiane Koch, S. 6–9: noun project (7), Shutterstock (5), S. 10: Stefan Charles, S. 12–13: Johannes Heuckeroth/Mauritius Images, S. 20: Franz Neumayr/action press, S. 22: Stephan Görlich, Thomas Kappes, S. 26: VTG, S. 28–29: VTG, S. 30: Christian Kerber, S. 31: VTG, S. 32–33: Shutterstock, S. 36–37: Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA) (2), Linke-Hofmann-Busch, Salzgitter / Sammlung Westermann, VTG, S. 38: noun project (2), Shutterstock, S. 41: Benne Ochs, S. 44: Stefan Charles, S. 46: Pablo Castagnola, S. 47: public domain, S. 50–56: Christian Kerber, S. 57: Christiane Koch, S. 58: VTG, S. 59: Shutterstock, S. 60–61: Thomas Kappes, S. 62–67: VTG, Frank Reinhold, © Heimat- und Geschichtsverein Elze und seiner Ortsteile e.V., Florian Lein (4), Philipp Stiens (3), S. 70–73: Sammlung Rauch/INTERFOTO, Heinz-Dieter Falken- stein/ddp images (2), Haeckel Archiv/Ullstein Bild, S. 74: Frank Reinhold, S. 76: Shutterstock, S. 78: Alfred Gross/Ullstein Bild, S. 80: noun project, S. 82: Benne Ochs, S. 87–89: Thomas Kappes, S. 92: Benne Ochs, S. 94–95: SNCF / Jean-Jacques d’ Angelo (2), S. 97: Oliver Lang, S. 98: Thomas Kappes, S. 99: Albinfo, Sebastian Terfloth, S. 101: Shutterstock, S. 104: Getty Images, S. 106–109: Christian Kerber, S. 110–115: HyperloopTT, CST AG, Falk Fröhlich /Haslacher + Partner, S. 116–117: Christoph Reichelt, CERSS, NEE, privat (2). Illustrationen Porträts S. 14, 19, 23, 24, 25, 42, 77, 84–86, 96, 102, 108: Uli Knörzer QUELLEN 62–67: Heimat- und Geschichtsverein Elze (Hg.): „Die Elzer Waggon – Die Geschichte der Fabrik von Heine und Holländer bis Waggonbau Graaff und VTG AG“; Elze, 1. Auflage 2009. http://www.hege- elze.de/buecher (Letzter Zugriff: 12.12.2021). 70–73: 1 https://www.faz.net/ aktuell/wissen/forschung-politik/ streckenschwund-der-niedergang-des-deutschen-eisenbahn- netzes-16545766.html (Letzter Zugriff: 24.01.2022). | 2 Lothar Gall, Eisenbahn in Deutschland: Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg, in: Die Eisenbahn in Deutschland, hgg. von Lothar Gall und Manfred Pohl, München 1999, S. 17. | 3 Ralf Roth, Das Jahrhundert der Eisenbahn. Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag 2005, S. 48. | 4 Lothar Gall, Die Eisenbahn in Deutschland, S. 17. | 5 https://www.nytimes.com/ interactive/2021/06/04/ arts/design/berthe-morisot-in-england.html (Letzter Zugriff: 24.01.2022). | 6 Gerold Ambrosius, Globalisierung. Geschichte der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018. S. 151. | 7 https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/ deutschland-in- daten/221006/massentransport (Letzter Zugriff: 24.02.2022). | 8 Jürgen Hüllen, Richard Neff, Privatgüterwagen in der modernen Logistik, in: Die Güterbahnen. Zukunftsfähige Mobilität für Wirtschaft und Gesellschaft, hg. von VDV Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, Düsseldorf 2002, S. 251. 92–99: https://www.deutschebahn.com/de/presse/presse- start_zentrales_uebersicht/Digitalisierung-der-Schiene-nimmt- weiter-Tempo-auf--5569450 (Letzter Zugriff: 12.12.2021). H E U T E . 115 M O R G E N .

„Schienengüterverkehr hat das Potenzial, Klimaschutz und steigende Transportmengen zusammenzubringen. Wir sind Teil der Lösung, wenn es um die Wende hin zu null Emission bis 2050 geht. Dieses Momentum gilt es, für Wachstum auf der Schiene zu nutzen. Unsere Unternehmen sind dabei – mit Konzepten und Innovationen, die das System Schiene einfacher, digitaler und effizienter machen.“ Malte Lawrenz, Vorsitzender des Verbands der Güterwagenhalter in Deutschland e. V. (VPI) „Es ist wichtig, dass die DAK in absehbarer Zeit Realität wird. Sie bietet eine gute Voraussetzung, um ETCS Level 3 sinnvoll einführen zu können. Und dieses Level bietet dringend erforderliche Kapazitätssteigerungs- möglichkeiten im Schienenverkehr!“ Prof. Jochen Trinckauf, Professur für Verkehrssicherungstechnik am Institut für Bahnsysteme und Öffentlichen Verkehr an der TU Dresden „Nachhaltige Gütermobilität wird es nur mit der Schiene als Rückgrat elektromobiler Logistik- ketten geben. Wir brauchen jetzt klare Priorität für die Schiene.“ Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE) „Ich wünsche mir, dass der Eisenbahnsektor wirklich alle Chancen des EU Green Deals auf jeder Ebene intelligent nutzt. Denn nur dann bleiben wir nicht in einem Flickenteppich mit nationalen Einzelmaßnahmen hängen, sondern sind feder- führend bei der Entwicklung des europäischen Schienen- und Verkehrsmarktes. Ein solches Szenario ist für alle Beteiligten von Vorteil, einschließlich der Umwelt. Und dafür setze ich mich aus tiefster Überzeugung ein.“ Monika Heiming, Geschäftsführerin European Rail Infrastructure Managers (EIM)